Nachdenken tut weh, aber Leistung kann sich lohnen
Mit unserem Begriff von Produktivität hätten die Alten Griechen nichts anfangen können. Vielleicht müssen wir ihn heute auch neu überdenken. Trotzdem waren sie damals produktiv. Womöglich gibt es auch ein Nachdenken, das nicht so weh tut.
Alle Olympiabegeisterten dürften den Griechen dankbar sein für die Erfindung der Olympischen Spiele. Die Höhepunkte der vergangenen Wochen bleiben den Zuschauern auf der ganzen Welt im Gedächtnis. Der Kampf um die Medaillen fasziniert immer wieder. Selten liegen Glück und Enttäuschung so nah beieinander. Und wer den Lebensweg der Sieger zurückverfolgt, sieht erst jetzt, wieviel Plackerei und Leidenschaft es braucht, um eventuell einmal aufs Treppchen zu gelangen.
Der 24 Jahre alte Stabhochspringer Armand Duplantis aus Schweden legte die Latte mit 6,25 Meter für seine Mitkonkurrenten auf unerreichbare Höhe. Er soll einmal gesagt haben: „Ein Weltrekord bei den Olympischen Spielen – davon habe ich geträumt, seit ich drei Jahre alt war“. Seit er klein ist, lebt und denkt er den Stabhochsprung. Er soll schon als Kind mit dem Besenstiel über das Sofa gesprungen sein. Sein Vater war einst selbst Stabhochspringer und seine Mutter Siebenkämpferin. Bei ihm liegt wohl die Leidenschaft schon im Blut. Vor dem Erfolg liegt viel Arbeit, sagen wir heute zu Recht. Dabei würden die Alten Griechen, das wohl ganz anders sehen. Arbeiten galt für sie als moralisch minderwertig. Arbeiten war damals eines freien Mannes unwürdig: „Arbeit verdirbt den Charakter.“
Ruhe und Muße galten als antike Ideale
„Gewöhnlich können Menschen geistige Anstrengungen wirklich nicht leiden“, sagt Erik Bijleveld von der Radboud-Universität im niederländischen Nijmegen im Fachjournal „Psychological Bulletin“ auf seinem X-Account (ehemals Twitter). Mit einem Team aus Psychologen wertete er 170 Studien aus 29 Länder weltweit aus. Die fast 5.000 Teilnehmenden mussten in den jeweiligen Studien die unterschiedlichsten Aufgaben erfüllen. Dabei ging es um 358 mentale Herausforderungen. Egal wie gebildet die Teilnehmer waren und welchem Beruf sie auch nachgingen. Beim Tun überwogen fast bei allen die unangenehmen Gefühle. In der weltweiten Studie zeigte sich, dass lediglich die Asiaten eher bereit waren, sich zu quälen. In der Psychologie spricht man deshalb auch vom „Law of less Work“. Das Lebens- und Überlebenskonzept des Menschen besteht eigentlich darin, den Weg des geringsten Widerstands zu gehen. Warum soll man seine Energie verschwenden, wenn das Ergebnis auch auf bequemere Weise erreicht werden kann?
Entscheidungen treffen kostet viel Kraft
Also sucht man bei der Bewältigung seiner Arbeit den am wenigsten dornigen Weg aus. „Oft genug ist das der altbekannte Trampelpfad“, sagt der Neurowissenschaftler Martin Korte. Er lehrt und forscht an der Universität Braunschweig über das Lernen. Mehr dazu findet sich auch bei Wikipedia unter dem „Prinzip des geringsten Aufwandes“. Womöglich haben die Alten Griechen also tatsächlich weniger hart gearbeitet in unserem modernen Sinn. Trotzdem haben Sie die Demokratie, die Mathematik, die Philosophie und vieles mehr geschaffen, was wir nicht mehr entbehren möchten. Und wer damals bei der Olympiade gewinnen wollte, wird ähnlich viel Mühe auf sich genommen haben, wie unsere heutigen Athleten. Sicher haben sie es nicht als Arbeit bezeichnet. Es war Körperertüchtigung.
Die intrinsische und/oder die extrinsische Motivation müssen stärker sein als die Kraft, die Entscheidungen kosten. Wer die Meldung „Lost in perfection“ liest, darf sich zurecht fragen, ob wir unsere Arbeit vernünftig organisieren, ob wir ständig so viele Entscheidungen treffen müssen, die uns hirnseitig ermüden. Vieles kann uns heute die Software abnehmen und bei Entscheidungsprozessen unterstützt uns zunehmend die KI. Mit unserem Begriff von Produktivität hätten die Alten Griechen nichts anfangen können. Vielleicht müssen wir ihn heute auch neu überdenken. Trotzdem waren sie damals produktiv. Womöglich gibt es auch ein Nachdenken, das nicht so weh tut. Ein Nachdenken und Entscheidungen treffen, das Freude auslöst und Spaß macht. Davon brauchen wir mehr. Davon wünschen wir uns mehr. Und wenn wir uns an den aktuellen olympischen Werten – Höchstleistung, Freundschaft und Respekt – orientieren, befinden wir uns in guter Gesellschaft.
Franz Langecker
Chefredakteur HR Performance