Nicht das Personalwesen stirbt, sondern die pervertierte Version
Der Thinktank Innovation der „Zukunft Personal“ hat im August diesen Jahres ein Whitepaper zur Zukunft des Personalwesens publiziert. Diese Kolumne beschäftigt sich mit den fünf Thesen, die eine hervorragende Diskussionsplattform schaffen.

Der Thinktank Innovation der „Zukunft Personal“ hat im August diesen Jahres ein Whitepaper zur Zukunft des Personalwesens publiziert. Die AutorInnen sind: Prof. Dr. Rupert Felder, Prof. Dr. Stephan Fischer, Joachim Rotzinger, Gunnar Sohn, Kathrin Thieme Wagner und Marc Wagner. Die fünf Thesen, die die Gruppe veröffentlichte, schaffen eine hervorragende Diskussionsplattform. Sie zeigen das Dilemma, die Chancen und die Zukunft von HR. Aus ihrer Analyse folgt eine fundamentale Neuausrichtung der HR.
Es wäre schade, wenn diese Arbeit, diese Gedanken und diese Vision von HR einfach liegen blieben. Ich werde deshalb beginnend mit diesem Newsletter, mich mit den einzelnen Thesen befassen. In der HR-Welt tauchen immer wieder Überlegungen zur Zukunft der Personalarbeit auf. Selten waren sie aber so tiefgründig und umfassend. Natürlich ist es ein großes Wagnis, in diesen Zeitenwende-Zeiten den Blick in die Zukunft zu werfen. Aber die Zukunft, über die die AutorInnen sprechen und schreiben, hat schon begonnen.
Wir stecken bereits in einer großen Transformation. Es geht hier nicht um Phantasterei. Der Overflow an Wünschen, Erwartungen und Herausforderungen, den die Personalverantwortlichen heute meistern müssen, verstellt den Blick auf diese Zukunft. Um die richtigen Entscheidungen für die Zukunft treffen zu können, braucht es diese Vorstellung und diese Visionen, wie HR morgen aussieht und möglicherweise funktionieren wird. Mit unserem Tun von heute gestalten wir Leben und Arbeiten von morgen.
Wir stehen vor einer neuen Form der Wertschöpfung
These 1 lautet: „Nur eine fundamentale Erneuerung der HR-Abteilung ist die Geburtsstunde echten People Managements“. Laut der Boston Consulting Group sehen nur 23 Prozent der Unternehmensführer und 17 Prozent der HR-Mitarbeiter in HR einen strategischen Treiber. 67 Prozent der Führungskräfte betrachten HR primär als administrative Funktion – notwendig, aber ziemlich wertlos. Der zentrale Grundgedanke der These ist, dass das bestehende Personalwesen eine „Fehlkonstruktion“ ist. Es verwaltet die Menschen und sieht sie nur als Produktionsfaktor. Dabei ist der Mensch der zentrale Werttreiber im digitalen Zeitalter. Durch die KI entsteht etwas radikal Neues. Sie kann bis zu 70 Prozent der klassischen HR-Aufgaben übernehmen.
Das alte Personalwesen hat das menschliche Potenzial in administrative Prozesse gepresst. Dadurch wird es völlig unterbewertet. Wir leben noch in dieser Verwaltungsillusion. Prozessverwaltung ist keine Strategie. Fast alles dreht sich nur um Administration. Und viele Softwarelösungen begünstigen sie und schaffen dafür die Architektur. Die cloudbasierten Systeme haben die administrative Effizienz eher noch gesteigert. Aber der Wertbeitrag bleibt marginal. Das Thinktank-Team sieht eine Metamorphose, bei der die Personalverwaltung sich in eine Personalentfaltungsagentur verwandelt. Sie nennt dies Geburt des Neuen – People Management als Enabler.
Der Sänger Leonard Cohen hat in einem Lied geschrieben, dass es überall einen kleinen Spalt gibt, durch den das Licht dringt. Das gilt auch für HR. Die Zukunft blitzt schon an verschiedenen Stellen durch. Das spürt man bei dem Artikel „Change and New Work“. Die „Thinktanker“ sprechen von einer Befreiung für HR. Das Schlagwort lautet Potenzialentfaltung. Darum dreht sich zukünftig das gesamte People Management. Jede People-Initiative muss dem Kunden nutzen und zur langfristigen Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens beitragen. Ziel ist die maximale Potenzialentfaltung der Mitarbeitenden durch die Optimierung der People Experience (Onboarding, Development, Performance und Career).
Starre Hierarchien weichen dynamischen Netzwerken
Es erfolgt eine Verlagerung der Führungsverantwortung. People Leadership gehört direkt ins Business. Der People-Bereich versteht sich als Enabler und Produktivitätsbooster. Seine Aufgabe ist es, Business Leader mit den Werkzeugen, Systemen und Kompetenzen auszustatten, die sie für exzellentes People Leadership benötigen. Business Leader führen und entscheiden. People Enabler designen Systeme, Prozesse und Umgebungen. Sie entwickeln Tools und das Framework. KI-Systeme übernehmen die Administration. Im Fokus stehen Skill-Intelligence, Task-Intelligence, Team-Intelligence und Performance-Intelligence. Dafür braucht es zentrale Steuerungseinheiten für das Echtzeit-Monitoring, für Predictive-Analytics, für Intervention-Design und für Success-Story-Management.
Die Transformation zur kontinuierlichen Lern- und Anpassungslandschaft muss systematisch geplant und umgesetzt werden. Auch wenn diese Begriffswelt irritiert. Sie steht für die Zukunft und für konkrete Wege. Bewährtes wird bleiben. Aber der Blick- und der Ansatzwinkel verändern sich komplett. KI nimmt immer mehr Einfluss im Recruiting, wobei jedoch der Ruf nach einer Kennzeichnung laut wird, wie eine Arbeitsmarktstudie zeigt. Und der Digitalen Personalakte fällt eine Schlüsselrolle beim „Enabling“ zu. Wie sich der Aufwand für die Zeitwirtschaft zukünftig reduzieren lässt, erfahren Sie in der Webkonferenz nächste Woche.
Die Zukunft gehört jenen, die den Mut haben, alte Gewissheiten loszulassen und sich aktiv an der Gestaltung neuer organisationaler Realitäten zu beteiligen. Soviel zur These 1. In meiner nächsten Kolumne geht es um die These 2.

Franz Langecker
Chefredakteur HR Performance