Mit dem „verbeulten Auto“ auf Erfolgskurs setzen
Es lohnt sich immer im Leben, einen Plan B zu haben. Den hatte die Koalition am Wahltag nicht, obwohl es am Vorabend der Wahl wohl schon Wetten bzgl. der Zahl der „Ablehner“ gab. Politik, Unternehmen und HR brauchen Seismographen, die rechtzeitig Handlungsbedarfe ankündigen. Beulen und Fehler gehören zum Alltag. Wichtig ist, daraus zu lernen.

Papst Franziskus bezeichnete einmal die Katholische Kirche als „verbeultes Auto“. Die Geschichte und das Leben hinterlassen ihre Spuren. Und wie schnell man sich eine Beule holen kann, erlebte Friedrich Merz nach dem gescheiterten ersten Wahlgang im Parlament. Das Wissen um unsere Schwächen und Fehler erdet. Franziskus hat es in seinem menschenorientierten Pontifikat immer wieder an die „Ränder“ gehen lassen.
Heute am 8. Mai vor genau 80 Jahren trat die Kapitulation Deutschlands in Kraft. Viele Städte lagen in Trümmern. Millionen Menschen mussten für sich und ihre Familie eine neue Heimat suchen. Hunger und der Kampf ums Überleben waren allgegenwärtig. Während viele Männer im Krieg geblieben waren, begannen die „Trümmerfrauen“ das Land wieder aufzuräumen und aufzubauen. Die Generationen danach haben viele Beulen ausgerichtet und Neues geschaffen. Niemand hätte sich vor 80 Jahren vorstellen können, dass Deutschland es einmal zur drittgrößten Wirtschaftsnation der Welt schafft. Die Menschen haben an- und zugepackt. Sie haben sich selbst geholfen. Sie wollten eine bessere und sichere Zukunft haben. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Die neue Regierung wird sich daran messen lassen, ob es ihr gelingt, die Bedingungen dafür zu schaffen, dass diese Erwartungen in Erfüllung gehen.
Was bringt die neue Regierung für HR?
Ein Blick in den 146 Seiten umfassenden Koalitionsvertrag zeigt, dass HR nicht direkt adressiert wird. Aber viele Themen, die darin genannt werden, verstehen sich auch als „HR-Botschaften“. Es bleibt eine zentrale Herausforderung, die Balance zwischen Arbeitsmarkt und Sozialpolitik zu finden. Das Versprechen, den Mindestlohn angemessen zu erhöhen, gehört zu diesen Balanceakten. Die Koalitionsparteien wollen die Tarifbindung stärken und dafür ein Bundestariftreuegesetz auf den Weg bringen. Es soll faire Löhne und Arbeitsbedingungen sichern. Das Thema Arbeitszeit steht ebenfalls auf der Agenda. Das gilt sowohl für das Abrücken von der täglichen Höchstarbeitszeit hin zu einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit und für die angemessene Arbeitszeiterfassung.
Seit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 14. Mai 2019 warten Unternehmen auf klare Vorgaben bzgl. der Arbeitszeiterfassung seitens des Ministeriums für Arbeit. Des Weiteren sind steuerliche Anreize für mehr Arbeit angekündigt. Die neue Koalition bekennt sich zur Umsetzung der EU-Transparenzrichtlinie. Ziel ist gleicher Lohn für gleiche Arbeit von Frauen und Männern bis 2030. Eine Kommission soll bis Ende dieses Jahres konkrete Vorschläge für die nationale Umsetzung entwickeln. Weitere Themen im Vertrag sind der Bürokratieabbau, z.B. weniger Statistiken und schnellere Genehmigungsverfahren. Das und vieles mehr steht in der „Roadmap zur Modernisierung des Staates“. „Ein Technikfreak wird Digitalminister“, schrieb das Magazin Der Spiegel letzte Woche. Der Politikneuling Karsten Wildberger soll den deutschen Digitalisierungsstau auflösen. Dabei sind auch Impulse für HR zu erwarten. Maßnahmen wie die Strompreissenkung, die Förderung des Freihandels, Investitionsanreize u. a. m. dienen der Belebung der Wirtschaft. Damit sollen Arbeitsplätze gesichert und neue geschaffen werden. Das Licht am Horizont hellt sich auf.
Welche Botschaft kann HR von der neuen Regierung mitnehmen?
Es lohnt sich immer im Leben, einen Plan B zu haben. Den hatte die Koalition am Wahltag nicht, obwohl es am Vorabend der Wahl wohl schon Wetten bzgl. der Zahl der „Ablehner“ gab. Politik, Unternehmen und HR brauchen Seismographen, die rechtzeitig Handlungsbedarfe ankündigen. Beulen und Fehler gehören zum Alltag. Wichtig ist, daraus zu lernen. Falsche Entscheidungen können schnell zu Lasten der Glaubwürdigkeit gehen und zu einer schweren Belastung werden. Nach dem harten Wahlkampf hat sich gezeigt, es schadet allen, wenn unnötig Porzellan zerschlagen wird, das man danach wieder braucht. Ohne die Gesprächs- und Konsensbereitschaft der Grünen und Linken hätte es diese Regierung vielleicht nicht geschafft. Auch die Strukturen und Abhängigkeiten in Unternehmen sind komplex. HR sollte sich dabei aufgerufen fühlen, sich immer für einen fairen Umgang miteinander einzusetzen.
Es müssen nicht immer Kaminkarrieren sein
Die Botschaft der CDU/CSU lautet, Quereinsteigern zu vertrauen. Es müssen nicht immer Kaminkarrieren sein. Die SPD setzt auf Frauen und auf eine junge Mannschaft. Die neue Regierung beweist Mut. Diesen Mut erwartet das Land auch von den Entscheidern in der Wirtschaft. Wir werden sehen, wie viel Mut die 133 Kardinäle im Konklave haben, wenn sie ihren Pontifex Maximus wählen. Einen oder mehrere Brückenbauer wünschen wir uns auch für unser Land. Wir haben nicht nur viele marode Brücken. Wir haben auch tiefe Gräben in der Gesellschaft, die es zu überbrücken gilt.
Wir drücken der Regierung die Daumen. Am Kanzler und seiner Mannschaft hängen Wohl und Wehe unseres Landes. Mögen erfolgreiche vier Jahre vor uns liegen.

Franz Langecker
Chefredakteur HR Performance