„Entscheidend ist, dass das Thema Wechseljahre am Arbeitsplatz enttabuisiert wird.“ : Interview mit Anne Hayes, Director of Sectors and Standards Development bei der internationalen Normierungsorganisation British Standards Institution (BSI)
Im Interview mit Anne Hayes, Director of Sectors and Standards Development bei der internationalen Normierungsorganisation British Standards Institution (BSI), sprachen wir über den Umgang am Arbeitsplatz mit dem Thema Wechseljahre – in Deutschland und im internationalen Vergleich. Wie können Unternehmen Mitarbeiterinnen unterstützen und was ist eigentlich die sogenannte "zweite gläserne Decke"?
HRP: Es gibt eine sogenannte „zweite gläserne Decke“, die Frauen in den Wechseljahren im Berufsleben betrifft. Was ist damit gemeint?
Anne Hayes: Der Begriff „gläserne Decke“ wurde in den späten 1970er-Jahren eingeführt und in den 1980er-Jahren zunehmend populär. Er steht für die unsichtbaren Barrieren, mit denen Frauen und andere unterrepräsentierte Gruppen konfrontiert sein können, wenn sie Führungspositionen in Unternehmen oder im öffentlichen Sektor übernehmen wollen. Das Konzept spiegelte eine Realität der damaligen Zeit wider, in der mehr Frauen als je zuvor in die Arbeitswelt eintraten und ihre Karriere vorantreiben wollten und dabei aber auf spezifische Hindernisse stießen.
In den letzten fünf Jahrzehnten wurden große Fortschritte erzielt. In fast allen entwickelten Ländern außer den USA, Australien und der Schweiz (wobei die beiden letzteren Programme mit Anspruchsvoraussetzungen haben) wird inzwischen eine Form von bezahltem Mutterschaftsurlaub angeboten. Obwohl es noch ein weiter Weg ist und die geschlechtsspezifischen Lohnunterschiede weiterhin bestehen, machen Frauen heute mehr als 10% der Fortune-500-CEOs aus – ein beachtlicher Sprung von 0% im Jahr 1995. Obwohl Arbeitgeber begonnen haben, auf die besonderen Bedürfnisse von Frauen einzugehen, zeigt sich auch eine neue Realität: Frauen verlassen den Arbeitsplatz schneller als Männer. Dies deutet auf eine zweite gläserne Decke hin, die weniger die Karriereentwicklung, sondern vielmehr Karrieredauer und Mitarbeiterbindung betrifft.
HRP: Studien zeigen, dass Frauen manchmal ihre Arbeitszeit reduzieren oder unbezahlten Urlaub nehmen müssen, weil sie in den Wechseljahren sind.Es sollte klar sein, dass sich dies unweigerlich auf Unternehmen auswirken kann. Warum fühlt es sich also immer noch wie ein Tabuthema an?
Hayes: Viele Arbeitspraktiken stammen noch aus Zeiten, in denen Frauen als Arbeitnehmerinnen weder gleichberechtigt vertreten, noch priorisiert wurden. Infolgedessen werden die Bedürfnisse von menstruierenden oder in den Wechseljahren befindlichen Mitarbeiterinnen auch in der heutigen Arbeitswelt oft noch nicht ausreichend berücksichtigt.
Entscheidend ist, dass das Thema Wechseljahre am Arbeitsplatz enttabuisiert wird. Arbeitgeber sollten ihre Mitarbeiterinnen unterstützen und eine Atmosphäre schaffen, in der beide Seiten offen darüber sprechen können. Um Unternehmen dabei zu helfen, hat die British Standards Institution die Broschüre BS 30416 entwickelt. In dieser finden sich verschiedene Ratschläge, wie Missverständnisse über Menstruation und Wechseljahre vermieden und die Folgen der Tabuisierung erkannt werden können. Sie bietet praktische Vorschläge für Anpassungen und Maßnahmen, mit denen Unternehmen betroffene Mitarbeiterinnen gezielt unterstützen können.
HRP: Ist der Umgang mit dem Thema in anderen Ländern anders?
Hayes: Unser Bericht „Lifting the Second Glass Ceiling“ zeichnet weltweit ein gemischtes Bild. Kleine Veränderungen machen jedoch bereits einen großen Unterschied. Dem Beispiel Spaniens folgten kürzlich etwa Japan, China und andere Ländern und bieten nun ebenfalls bezahlten Menstruationsurlaub an. In Großbritannien und den USA wurden kürzlich Studien über die Auswirkungen der Menopause auf den Arbeitsplatz durchgeführt. Großbritannien hat Englands ersten „Menopause Employment Champion“ eingeführt und die „Women’s Health Strategy“ ins Leben gerufen.
Ein Teil des Erfolgs Islands bei der Förderung der Gleichstellung der Geschlechter bestand darin, eine Kultur des Bewusstseins und des Dialogs zu diesem Thema zu fördern. Das Land hat offene Diskussionen über Geschlechterfragen angeregt und gesellschaftliche Normen und Stereotypen in Frage gestellt. Außerdem wurden diese Diskussionen mit Richtlinien kombiniert, die Unternehmen zum Nachweis fairer Entlohnung verpflichten. Diese Kombination aus kulturellem Wandel und inklusiven Richtlinien wird der Schlüssel zum Erfolg sein.
Die Aussichten sind ebenfalls vielversprechend. Mehr als zwei Drittel der jüngeren Frauen sind laut unserer Studie optimistisch, dass ihre Generation die notwendige Flexibilität und Unterstützung erhalten wird, um genauso lange im Erwerbsleben zu bleiben wie ihre männlichen Kollegen. Ähnlich wie bei der Überwindung der ursprünglichen gläsernen Decke für den Aufstieg von Frauen im Beruf, können Unternehmen durch Zusammenarbeit und den Austausch erfolgreicher Strategien den Weg zu einer nachhaltigen Welt beschleunigen.
HRP: Wie können Unternehmen Frauen während der Wechseljahre unterstützen?
Hayes: Unternehmen sollten die Beseitigung der zweiten gläsernen Decke als Chance begreifen, um Wachstum und Innovation voranzutreiben und schneller eine nachhaltige Welt zu schaffen. Der Schlüssel zur Unterstützung von Frauen während der Wechseljahre liegt darin, den Dialog zu eröffnen und herauszufinden, was sie benötigen. Durch das Eingehen auf ihre Bedürfnisse können Lösungen entwickelt werden, die es mehr Frauen ermöglichen, während ihres gesamten Berufslebens arbeitstätig zu bleiben. Hierbei ist es wichtig, dass Unternehmen sicherstellen, dass die notwendige Unterstützung in allen Bereichen verfügbar ist.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Flexibilität am Arbeitsplatz. Unternehmen sollten erkennen, dass bereits kleine Anpassungen einen inklusiven Arbeitsplatz schaffen können. Darüber hinaus sollte eine breitere Kultur der Fürsorge etabliert werden, die die individuellen Bedürfnisse der Mitarbeiterinnen in den Mittelpunkt stellt. Um den Fortschritt in diesem Bereich nachhaltig voranzutreiben, ist es zudem erforderlich, bewährte Verfahren zu ändern und die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen, Sektoren und Ländern zu fördern.
HRP: Vielen Dank für das interessante Interview zu diesem wichtigen Thema.
Anne Hayes, Director of Sectors and Standards Development bei der internationalen Normierungsorganisation British Standards Institution (BSI)