Neurodiversität im Job : Wege zu mehr Inklusion für Mitarbeitende mit ADHS
Dieser Beitrag zeigt vier Wege auf, wie Unternehmen Barrieren und Hindernisse für Menschen mit AHDS in der Arbeitswelt abbauen und deren Inklusion am Arbeitsplatz fördern können.

Schätzungen zufolge, sind ca. 15 bis 20% aller Menschen neurodivers, was bedeutet, dass ihr Gehirn Informationen anders verarbeitet als dies bei neurotypischen Individuen der Fall ist. Neben Autismus, Legasthenie und Dyskalkulie ist die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) eine weit verbreitete Ausprägung von Neurodiversität. Erste wissenschaftliche Studien haben ergeben, dass ca. 5% aller Erwachsenen von ADHS betroffen sind, wobei die Dunkelziffer deutlich höher liegen kann, da insbesondere ältere Menschen lange nicht diagnostiziert wurden.
Menschen mit ADHS verfügen über einzigartige Talente, wie beispielsweise die Fähigkeit, sich stark zu konzentrieren. Oft besitzen sie eine hohe Kreativität, weisen eine große Begeisterung für neuartige Themen auf und sind mutig, unkonventionelle Lösungen zu finden und neue Wege zu gehen. Gleichzeitig führen Impulsivität und spontane, unüberlegte Entscheidungen als auch Schwierigkeiten mit Organisation und Zeitmanagement sowie dem Erfüllen sozialer Erwartungen dazu, dass Mitarbeitende mit ADHS vor vielen Herausforderungen im Arbeitsleben stehen.
In diesem Beitrag zeige ich vier Wege auf, wie Unternehmen Barrieren und Hindernisse für Menschen mit AHDS in der Arbeitswelt abbauen und deren Inklusion am Arbeitsplatz fördern können.
- Information und Aufklärung
Im Vergleich zu anderen Diversitätsdimensionen wie Geschlecht oder LGBTQ+ ist das Bewusstsein für ADHS noch immer wenig ausgeprägt. Dies führt dazu, dass im Alltag oft Stereotypen dominieren – etwa das verbreitete Bild des „Zappelphilipps“. Gerade in Unternehmen kann diese Unwissenheit dazu führen, dass Mitarbeitende mit ADHS auf Vorurteile stoßen oder stigmatisiert werden. Um dem entgegenzuwirken, sollten Unternehmen aktiv zum Thema Neurodiversität aufklären. Ein fundiertes und differenziertes Verständnis hilft dabei, die Stärken ebenso wie die Herausforderungen von Menschen mit ADHS zu erkennen und gezielt darauf einzugehen. Dies schafft nicht nur mehr Offenheit, sondern ist auch die Basis für sinnvolle Anpassungen im Arbeitsumfeld und geeignete Unterstützungsmaßnahmen.

Ausprägungen bestimmter Verhaltensweisen am Arbeitsplatz
- Personalpraktiken
Standardisierte Personalpraktiken stoßen an ihre Grenzen, wenn es darum geht, Mitarbeitenden mit ADHS faire Einstiegs- und Entwicklungsmöglichkeiten im Berufsleben zu bieten. Unternehmen sollten daher ihre Personalpraktiken gezielt anpassen, um neurodivergente Talente zu fördern und ihnen die gleichen Karrierechancen zu ermöglichen. Beispiele hierfür sind:
- Stellenausschreibungen, in denen Aufgaben und Erwartungen klar dargestellt werden und kreative oder herausfordernde Tätigkeiten hervorgehoben werden
- Bewerbungsverfahren, bei denen komplexe Prozesse vermieden und stattdessen alternative Formate wie Video-Interviews oder praktische Aufgaben angewandt werden
- Regelmäßige, kurze Feedbacks zur Leistungsbeurteilung anstatt längerer Jahresgespräche
- Flexible Kriterien zur Leistungsbeurteilung, die Einsatzwillen, Innovationsfähigkeit und Kreativität betonen
- Abkehr von traditionellen Karrieremodellen hin zu projektbasierten Karrieren
- Der Einsatz von Karriere-Coaches oder Mentoren, die Mitarbeitenden mit ADHS helfen, Herausforderungen im Arbeitsalltag zu meistern und ihre Stärken weiter auszubauen.
- Flexibilität im Arbeitseinsatz ermöglichen
Damit Mitarbeitende mit ADHS ihr volles Potenzial entfalten können, benötigen sie eine Arbeitsumgebung, die ihre Konzentration unterstützt. Unternehmen sollten daher darauf achten, reiz- und ablenkungsfreie Bereiche bereitzustellen, in denen fokussiertes Arbeiten möglich ist. Folgende Maßnahmen können dabei helfen:
- Die Schaffung von Einzelbüros, Ruhezonen oder der Einsatz von Noise-Cancelling-Kopfhörern
- Die Möglichkeit im Homeoffice zu arbeiten, auch über die betrieblich vereinbarten Tage hinaus, um produktive Phasen optimal zu nutzen
- Größere Flexibilität in der Arbeitszeit, sodass Menschen mit ADHS nach hochintensiven Konzentrationsphasen auf sie zugeschnittene Erholungs- und Ruhephasen bekommen
- Kurze regelmäßige Bewegungspausen oder Sportmöglichkeiten, damit Mitarbeitende mit ADHS ihre Energie optimal regulieren können
- Unterstützung von Vorgesetzten und Kollegen
Unsere Forschung zeigt, dass die Unterstützung durch Vorgesetzte und Kollegen entscheidend für die erfolgreiche Inklusion von Mitarbeitenden mit ADHS ist.
Wenn Mitarbeitende mit ADHS ihre Diagnose offenlegen, ist es essenziell, dass Führungskräfte eine positive Haltung einnehmen und gemeinsam mit ihnen sinnvolle Maßnahmen erarbeiten, um ihre Stärken gezielt zu fördern. Diese können individuell angepasste Arbeitsstrukturen, flexible Aufgabenverteilungen oder gezieltes Coaching umfassen. Führungskräfte sollten regelmäßige Feedbackgespräche initiieren, um Mitarbeitende mit ADHS in ihrer Entwicklung zu unterstützen und mögliche Herausforderungen frühzeitig zu erkennen. Darüber hinaus spielen Führungskräfte eine Schlüsselrolle in der Karriereentwicklung neurodivergenter Talente.
Unsere Forschung zeigt, dass Mitarbeitende mit ADHS besonders leistungsstark sind, wenn sie in herausfordernden, dynamischen Projekten eingesetzt werden. Routinetätigkeiten oder administrative Aufgaben mit wenig Abwechslung hingegen können schnell zu einem Motivationsverlust führen. Um das Potenzial dieser Mitarbeitenden nachhaltig zu nutzen, sollten Führungskräfte vorausschauend planen, wie sie nach Abschluss eines Projekts sinnvoll weiter eingesetzt werden können – beispielsweise in innovativen oder interdisziplinären Teams.
Neben individueller Führungskräfteunterstützung benötigen Mitarbeitende mit ADHS eine kollegiale und vertrauensvolle Arbeitsatmosphäre, um erfolgreich arbeiten zu können. Maßnahmen zur Förderung des Teamzusammenhalts – wie Inklusionsseminare, interaktive Workshops oder direkte Dialogformate zwischen neurodivergenten und neurotypischen Mitarbeitenden – tragen dazu bei, gegenseitiges Verständnis zu stärken und Vorurteile abzubauen.
Unternehmen, die gezielt auf diese vier Punkte achten, schaffen nicht nur ein inklusiveres Arbeitsumfeld, sondern profitieren auch von der Kreativität, Innovationskraft und Einsatzbereitschaft von Mitarbeitenden mit ADHS.
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Kerstin Alfes ist Professorin für Organisation und Personalmanagement sowie Prorektorin für Lehre an der ESCP Business School, Campus Berlin. Sie ist eine führende Expertin für strategisches Personalmanagement, Mitarbeiterengagement, und Diversität und Inklusion. Vor ihrer Zeit an der ESCP war sie an der Kingston University London und der Tilburg University tätig und hat umfangreich in führenden Fachzeitschriften veröffentlicht. 2023 wurde Sie als eine der 40 führenden Köpfe Deutschlands im Bereich Personalmanagement ausgezeichnet.