Ersetzt KI das klassische Bewerbungsgespräch?
Der Beitrag von Dr. Charlotte de Brabandt befasst sich mit der Frage, ob KI das klassische Bewerbungsgespräch ersetzt. Ein Vorteil beim Einsatz von KI ist, dass geeignete Personen aus einem großen Pool schnell gefunden werden. Andererseits verwertet die KI nur die Daten, auf die sie zurückgreifen kann. Finden sich darin Vorurteile, so kommen sie beim KI-Output zum Tragen.
An der Diskussion, wie künstliche Intelligenz, kurz KI genannt, eingesetzt wird, kommt niemand mehr vorbei, schon gar nicht im Businessbereich. Gerade das Personalmanagement ist immer stärker betroffen, denn KI erspart auch hier Kosten.
Definition KI
Künstliche Intelligenz ist in der Lage, menschliche Intelligenz zu imitieren. Sie übernimmt maschinell die kognitiven Fähigkeiten, die Wahrnehmen, Denken, Wissen, Lernen und Erinnern betreffen, indem sie Informationen aus Daten identifiziert, sortiert und logische Entscheidungen trifft.
KI beherrscht das „maschinelle Lernen“. Hierbei setzt sie Algorithmen ein und leitet aus Prozessen und Daten Schlussfolgerungen ab. Sie bildet nach dem Vorbild der menschlichen Nervenzellen „neuronale Netze“, in denen Datenknoten künstlich miteinander kommunizieren. Hinzukommende Daten in diesem Netzwerk lösen bei der KI Trainings- und Lernprozesse aus.
KI ordnet Bilder nach Kategorien ein. Sie erkennt und interpretiert sprachliche Äußerungen und schriftlichen Text, die sie auch beantwortet. KI erstellt neue Inhalte und bietet Lösungen an, die man bisher nur Menschen zutraute, darunter die Weiterentwicklung von Prozessen (Fraunhofer 2024).
KI im Bewerbungsprozess
KI erspart Personalverantwortlichen Zeit. Möglichkeiten, die bereits eingesetzt werden, sind:
- Analyse des Personalbedarfs
- Vorschläge für Stellenausschreibungen
- Herausfiltern von geeigneten Personen aus einer Datenbank
- Eingehende Bewerbungsunterlagen analysieren und nach Kriterien zuordnen
- Rankings erstellen
- Zeitnahe Feedbacks an die bewerbenden Personen erzeugen
- Fragen für Vorstellungsgespräche entwickeln
Ein Vorteil bei diesen Einsätzen ist, dass geeignete Personen aus einem großen Pool schnell gefunden werden. Dazu kommt, dass (im Idealfall) Diskriminierungen verhindert und diverse Menschen in den Bewerbungsprozess vollständig einbezogen werden. Die KI erstellt ihr Ranking nicht aufgrund von Kriterien wie z. B. Geschlecht, Herkunft oder Alter. Auch Eindrücke aufgrund von Fotos entfallen.
Andererseits verwertet die KI nur die Daten, auf die sie zurückgreifen kann. Finden sich darin Vorurteile, so kommen sie beim KI-Output zum Tragen. Beispielsweise unterlief Amazon der Fehler, Bewerberinnen und Bewerber aufgrund veralteter Datensätze zu beurteilen. Das führte zur Benachteiligung von Frauen. Amazon verbesserte seine Datensätze daraufhin (ZDF 2024).
Auch die Harvard Business School berichtet über ein „KI-Fehlverhalten“. 2021 wurden ca. 27 Millionen Bewerbungen nie von einem Menschen beurteilt. Unter den schon durch die Bewerbungsunterlagen herausgefilterten Personen befanden sich signifikant viele Pflegekräfte und Menschen mit Migrationshintergrund, die aufgrund ihrer Qualifikationen geeignet gewesen wären (Business Insider 2022).
Der gesamte Bewerbungsprozess verläuft mit KI schneller und effizienter. Studienergebnisse der IU, Internationale Hochschule in Erfurt, von 2021 zeigen, dass 95 Prozent der Personalverantwortlichen großen Nutzen in KI-Anwendungen sieht.
Dem steht gegenüber, dass 70 Prozent der Bewerberinnen und Bewerber interviewenden Menschen aus der Personalabteilung mehr vertrauen (IU Hochschule 2023).
KI im Bewerbungsgespräch
Was unterscheidet das klassische Bewerbungsgespräch von den vorhergehenden Stationen des Bewerbungsverfahrens? Es handelt sich nicht mehr um die Auswertung von Daten und Fakten, sondern um reine Kommunikation, wenngleich die Unterredung auch auf zuvor erstellten KI-Analysen basiert. Wer im Bewerbungsgespräch sitzt, hat einige Prüfverfahren überstanden und ist bislang positiv bewertet worden. Es geht nun um das letzte Rennen im Wettbewerb um die Stelle.
Die bewerbende und interviewende Person ist physisch anwesend. Wie so oft kann der erste äußere Eindruck bei der Entscheidung für oder gegen jemanden eine Rolle spielen. Sympathie und Antipathie sind schwer auszugrenzen. Darunter haben diverse Menschen oft zu leiden, wenn ein Unternehmen nicht bewusst diverse Menschen einbezieht. Das betrifft im Wesentlichen ältere, behinderte, queere und nicht weiße Menschen, aber auch oft Frauen (insbesondere bei Aufstiegspositionen). Die Einbeziehung von Diversity ist jedoch nicht nur ein Prozess, der demokratische Entscheidungen stärkt und Individuen gleichberechtigt behandelt, sondern auch eine wirtschaftliche Notwendigkeit, die Wettbewerbsvorteile mit sich bringt (vgl. De Brabandt/Schemmel 2024).
Von solchen äußeren Attributen bleibt die KI unbeeindruckt und damit vorurteilsfrei. Insofern ist sie hier objektiv, während Angehörige des Personalmanagements dem „Unconscious Bias“ unterliegen können. Das sind unbewusste Einstellungen bis hin zu Vorurteilen, die eine objektive Beurteilung beeinträchtigen. Falls die vorherige Auswahl der Bewerbungsschreiben und Lebensläufe mithilfe von KI erfolgte und vorurteilsgefährdete Daten aussortiert wurden, so sollten die Personalbeauftragten gut vorbereitet ins Gespräch gehen, wenn sie nicht von unerwarteten Äußerlichkeiten überrascht werden wollen, die ihre Entscheidungsfindung beeinflussen, z. B. körperliche Beeinträchtigungen oder Hautfarbe.
Lesen Sie den vollständigen Beitrag aus der HR Performance 4/2024.
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