Ist die Bezahlung nach Zeit noch angemessen?
Ein hochtalentierter Kreativkopf kann in einer Stunde mehr Ideen generieren als 20 Unkreative gemeinsam in 40 Stunden. Und die besten Ideen kommen womöglich morgens unter der Dusche oder abends im Bett. Diese Beispiele zeigen klar auf, dass Arbeitszeit in diesem Bereich tatsächlich schwierig zu fassen ist. Aber wenn wir die Arbeitszeit außer Acht lassen, was wäre dann die Basis für eine Vergütung?
Unser Autor, der Zeitwirtschaftsexperte Guido Zander, Geschäftsführender Partner der SSZ Beratung und einer der Top 40 HR-Köpfe, beleuchtet in seinem neuesten Beitrag, wann eine Zeiterfassung sinnvoll ist, wann man zur Vertrauensarbeit übergehen sollte oder eine flexible Arbeitszeit angezeigt ist.
Immer öfter lese ich auf LinkedIn oder in Artikeln, dass die Anzahl der Stunden pro Woche doch total egal wäre, schließlich käme es ja nur auf das Ergebnis an. Und wenn jemand seine Aufgaben in 30 Stunden erledigt hat, dann kann er oder sie nach Hause gehen und andere, die dafür 42 Stunden benötigen, die müssen dann eben noch bleiben. Deshalb sei Zeiterfassung sowieso letztes Jahrhundert und Vertrauensarbeitszeit ist das Maß der Dinge. Und jetzt kommt auch noch das „blöde“ EuGH-Urteil, das das letzte Jahrhundert zementieren möchte.
Mit Verlaub, aber das ist populistisch und absolut undifferenziert. Und wie immer bei Populismus, ist zwar ein Kern Wahrheit dabei, aber eben stark vereinfacht. Wobei der Inhalt dieser Beiträge eher aus Unwissenheit, denn aus böser Absicht geschrieben werden, stammen sie doch meistens von Coaches, Beratern oder generell Wissensarbeitern, die im Homeoffice ihre Arbeitszeit sehr flexibel gestalten können und selten ein Industrieunternehmen von innen gesehen haben.
Und genau das ist teilweise auch das Problem, weil sehr selten über den eigenen Tellerrand geschaut wird. Denn ob Zeit oder Ergebnis die bessere Einheit ist, um ein Gehalt zu ermitteln, hängt schlichtweg von der Tätigkeit ab. Sehen wir uns dazu unterschiedliche Tätigkeiten an.
Kreativarbeit ist wenig zeitabhängig
Ein hochtalentierter Kreativkopf kann in einer Stunde mehr Ideen generieren als 20 Unkreative gemeinsam in 40 Stunden. Und die besten Ideen kommen womöglich morgens unter der Dusche oder abends im Bett. Diese Beispiele zeigen klar auf, dass Arbeitszeit in diesem Bereich tatsächlich schwierig zu fassen ist. Aber wenn wir die Arbeitszeit außer Acht lassen, was wäre dann die Basis für eine Vergütung?
Die Anzahl von Ideen ist wohl auch schwierig zu bemessen. In Event- oder Marketingagenturen könnte es der aus den Ideen resultierende Umsatz sein, dann müsste man allerdings auch klare Kausalzusammenhänge definieren können, was ggf. nicht immer möglich ist. Einfacher ist dies im Vertrieb.
Vertriebsarbeit ist eine Mischung aus Zeiteinsatz und Talent
Talentierte Vertriebsmitarbeitende können in durchschnittlichen 30 Stunden mehr Umsatz generieren als andere in 50 Stunden. Genau deshalb gibt es bei Vertriebsmitarbeitenden sehr oft Provisionssysteme, um diese am Erfolg zu beteiligen. Die Arbeitszeit spielt auch hier oft nur eine untergeordnete Rolle. Aber selbst hier ist eine zeitliche Komponente nicht ganz zu vernachlässigen. Vertriebsmitarbeitende, die 40 Stunden arbeiten, werden in der Regel mehr Umsatz machen als solche, die nur 20 Stunden arbeiten.
Was ist das Ergebnis bei Lokführer:innen und Busfahrer:innen?
Lokführende mit 40 Stunden Wochenarbeitszeit werden im Ergebnis mehr Kilometer zurücklegen als andere in 30 Stunden. Die Arbeit besteht aus der Abdeckung einer Zeitstrecke, in der ein Zug oder ein Bus von A nach B bewegt werden soll, und das idealerweise innerhalb eines vorgegebenen Fahrplans. Eine Produktivitätssteigerung in Form einer höheren Geschwindigkeit, um die gleiche Strecke in kürzerer Zeit zurückzulegen, bringt also nichts oder ist sogar gefährlich.
Das ist auch der Grund, warum z. B. eine 4-Tage-Woche mit reduzierter Arbeitszeit volkswirtschaftlich den Fachkräftemangel vergrößert, weil die zusätzlich benötigten Lokführer:innen an anderer Stelle fehlen. Es bleibt also nur eine Bezahlung nach Zeit übrig, die idealerweise durch eine Zeiterfassung automatisiert ist.
Was ist das Ergebnis bei Pflegekräften?
Ähnliches gilt bei Pflegekräften. Sie decken eine Zeitspanne ab, in der sie im Krankenhaus sein müssen, unabhängig davon, wie viel Patienten gerade auf der Station sind. Natürlich gibt es auch hier oft eine bedarfsabhängige Planung, aber eine Mindestbesetzung ist unabhängig davon nötig. Und wenn richtig viel zu tun ist, müssen oft Überstunden geleistet werden, weil eben die normale Zeit nicht reicht, wie z. B. während der Corona-Pandemie, aber auch sonst oft im Arbeitsalltag. Und dann sollten diese zusätzlichen Zeiten bezahlt werden.
Man stelle sich nur einmal vor, die Pflegekräfte hätten während der Pandemie Vertrauensarbeitszeit gehabt. Jenseits des Klatschens wäre dann überhaupt nichts mehr übrig geblieben. Und um Überstunden auszuzahlen oder abzufeiern, müssen sie erfasst werden, und es muss eine zugrunde gelegte Sollarbeitszeit geben. Könnten Pflegekräfte auch am Ergebnis gemessen werden? Also z. B., wie viele Patienten sie pro Schicht betreut, verarztet etc. haben. Das hieße aber auch, dass es weniger Geld gäbe, wenn wenige Patienten da sind – denn auf die Menge an Patienten haben die Pflegenden keinen Einfluss. Außerdem bin ich mir nicht sicher, ob ich in einem Krankenhaus liegen möchte, in dem es einen monetären Anreiz gibt, möglichst wenig Zeit je Patient aufzubringen.
Lesen Sie den vollständigen Beitrag aus der HR Performance 3/2024.