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Wissen, was gleichwertig ist – Mit System zur rechtssicheren Bezahlung

Das deutsche Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) enthält zwar ein Verbot der Entgeltdiskriminierung aufgrund des Geschlechts. Studien zeigen jedoch, dass das Gesetz in der Praxis kaum Wirkung entfaltet, da es zu wenig bekannt ist, umgangen wird und keine wirksamen Sanktionen vorsieht.

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Zwei Figuren, eine Frau und ein Mann, halten sich auf einem Holzbalken die Waage.
Foto: ©AdobeStock/photostockatinat

Die EU-Entgelttransparenzrichtlinie verpflichtet Unternehmen zur objektiven Bewertung von Tätigkeiten. CMS unterstützt mit einem digitalen Analysetool.

Trotz jahrzehntelanger Gleichstellungsbemühungen bestehen signifikante Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern fort. Im Jahr 2022 lag das unbereinigte Gender Pay Gap in Deutschland bei 18 %. Frauen erzielten durchschnittlich 20,05 € brutto pro Stunde, während Männer auf 24,36 € kamen. Das bereinigte Gender Pay Gap betrug 7 %.

Hauptursachen sind höhere Teilzeitquoten bei Frauen, Tätigkeiten in schlecht entlohnten Branchen und ein niedriger Anteil weiblicher Führungskräfte. EU-weit lag das unbereinigte Lohngefälle bei 12,7 % und verharrt seit Jahren auf einem ähnlichen Niveau. Dieser Ungleichbehandlung will der europäische Gesetzgeber mit der EU-Entgelttransparenzrichtlinie (2023/970/EU) entgegenwirken.

Status quo: Nationale Regelungen bisher wenig effektiv

Das deutsche Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) enthält zwar ein Verbot der Entgeltdiskriminierung aufgrund des Geschlechts. Studien zeigen jedoch, dass das Gesetz in der Praxis kaum Wirkung entfaltet, da es zu wenig bekannt ist, umgangen wird und keine wirksamen Sanktionen vorsieht.

Die Entgelttransparenz-Richtlinie: Neue Pflichten, klare Bewertungskriterien

Die Entgelttransparenz-Richtlinie (2023/970/EU) bringt in vielerlei Hinsicht echte Neuerungen mit sich: Sie verpflichtet Unternehmen zu konkreten Maßnahmen, erhöht Berichtspflichten sowie Auskunftsrechte der Arbeitnehmer* und sieht Sanktionen bei Verstößen vor. Ausgangspunkt für all diese Pflichten ist stets die Frage, ob und welche beschäftigten Männer und Frauen „gleiche“ oder „gleichwertige“ Arbeit verrichten und damit Anspruch auf „gleiches Entgelt“ haben. Diese sogenannte Entgeltbewertung ist nach der Richtlinie anhand objektiver, geschlechtsneutraler Kriterien, unabhängig von Funktionsbezeichnungen oder organisatorischen Strukturen, vorzunehmen. Als solche objektiven, geschlechtsneutralen Kriterien nennt die Richtlinie insbesondere:

  • Kompetenzen
  • Belastungen
  • Verantwortung
  • Arbeitsbedingungen

Weitere arbeitsplatz- oder positionsspezifische Faktoren können ergänzend berücksichtigt werden. Entscheidend ist dabei, dass die Bewertung nicht auf bloßen Funktionsbezeichnungen basiert und sich auch nicht an Maßstäben wie etwa der Vergleichbarkeit im Rahmen einer Sozialauswahl orientiert.

„Gleichwertige Arbeit“ im Sinne der Richtlinie

Die Richtlinie stärkt nicht nur das Prinzip „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“, sondern weitet dieses auf „gleichwertige Arbeit“ aus. Auch wenn Tätigkeiten nicht identisch sind, müssen sie gleich vergütet werden, wenn sie nach objektiven Kriterien als gleichwertig einzustufen sind.

Gleichwertig ist Arbeit dann, wenn sie vergleichbare Anforderungen an Qualifikation, Verantwortung, Belastung und Arbeitsbedingungen stellt. Es geht nicht um formale Titel oder Abteilungen, sondern um eine sachliche Bewertung der tatsächlichen Anforderungen und Inhalte der Tätigkeit.

Typische Bewertungskriterien für die Gleichwertigkeit sind:

  • Fachliche und persönliche Kompetenzen (Ausbildung, Erfahrung, Sozialkompetenz)
  • Verantwortung (z.B. Personalführung, Budgetverantwortung)
  • Belastungen (körperlich, psychisch, zeitlich)
  • Arbeitsbedingungen (z.B. Schichtarbeit, Außendienst, Umgebungseinflüsse)

Ein Beispiel: Eine Personalreferentin mit Personalverantwortung und ein technischer Projektleiter mit ähnlichem Verantwortungsgrad können gleichwertige Arbeit leisten, auch wenn ihre Tätigkeiten inhaltlich verschieden sind.

Unternehmen sollten daher geschlechtsneutrale und transparente Bewertungsmodelle implementieren, um strukturell benachteiligende Unterschiede zu identifizieren und zu vermeiden.

Neu: Gemeinsame Entgeltbewertung („Joint Pay Assessment“) bei Gender Pay Gap

Ein weiteres zentrales Instrument der Richtlinie ist die verpflichtende gemeinsame Entgeltbewertung („Joint Pay Assessment“) durch Arbeitgeber und Arbeitnehmervertretung. Sie ist immer dann durchzuführen, wenn innerhalb einer Arbeitnehmergruppe ein Gender Pay Gap von mindestens 5 % besteht und hierfür keine objektive Rechtfertigung vorliegt. In einem solchen Fall sind Arbeitgeber verpflichtet, gemeinsam mit Betriebsräten oder Gewerkschaften Ursachen des Lohnunterschieds zu analysieren und Maßnahmen zu dessen Beseitigung zu entwickeln.

Mit der EU-Entgelttransparenzrichtlinie kommen offene Auslegungsfragen und praktische Herausforderungen

Trotz des klaren Regelungsziels werfen einzelne Vorgaben der Richtlinie Auslegungs- und Abgrenzungsfragen auf, die bei der nationalen Umsetzung sowie in der betrieblichen Praxis von erheblicher Relevanz sind:

1. Vergleichseinheit: Unternehmen oder Betrieb?

Die Richtlinie nennt in Art. 19 den „Arbeitgeber“ als Bezugspunkt für die Entgeltbewertung. Daraus lässt sich – nach systematischer Auslegung – ableiten, dass die Tätigkeiten unternehmensweit und nicht nur betriebsbezogen verglichen werden müssen. Regionale Unterschiede, verschiedene Tarifbindungen oder wirtschaftliche Strukturen einzelner Standorte werden durch die Richtlinie bislang nicht ausdrücklich berücksichtigt.

2. Bewertung spezifischer Entgeltbestandteile

Besondere Herausforderungen ergeben sich bei der Einordnung und Bewertung variabler oder atypischer Vergütungskomponenten, etwa:

  • Mitarbeiterbeteiligungen (z.B. Aktienoptionen), die konzernweit oder durch ausländische Muttergesellschaften gewährt werden,
  • Abfindungen, deren Höhe im Einzelfall stark von individuellen Verhandlungspositionen, Prozessrisiken oder sozialen Gesichtspunkten abhängen kann. Gerade bei individuell verhandelten Abfindungen – etwa außerhalb eines Sozialplans – ist die Vergleichbarkeit schwer herstellbar.

Unternehmen sollten daher auf eine saubere Dokumentation der Verhandlungsumstände und der maßgeblichen Bemessungskriterien achten.

3. Berufserfahrung und Ausfallzeiten

Auch bei der Bewertung von Berufserfahrung ist Sorgfalt geboten. Es stellt sich die Frage, inwieweit Ausfallzeiten infolge von Elternzeit, Mutterschutz oder Teilzeitarbeit Berücksichtigung finden dürfen, ohne eine mittelbare Diskriminierung zu begründen.

Handlungsbedarf: Bewertungssysteme rechtzeitig aufsetzen

Die Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht muss bis zum 7. Juni 2026 erfolgen. Unternehmen sollten jedoch nicht abwarten, sondern sich frühzeitig vorbereiten. Bereits jetzt empfiehlt es sich, folgende Maßnahmen anzugehen:

  • bestehende Entgeltsysteme zu überprüfen und strukturelle Lücken zu identifizieren
  • objektive und geschlechtsneutrale Bewertungsmodelle für Tätigkeiten zu entwickeln
  • sämtliche Entgeltbestandteile transparent zu erfassen und zu dokumentieren
  • HR-Prozesse, Arbeitsverträge (z.B. Verschwiegenheitsklauseln) und Bewerbungsverfahren auf Konformität mit den neuen Vorgaben auszurichten,
  • gezielte Schulungen für HR, Führungskräfte und Betriebsräte zur neuen Rechtslage durchzuführen.

CMS unterstützt Sie bei der Umsetzung der EU-Entgelttransparenzrichtlinie

Die Entgelttransparenz-Richtlinie stellt Unternehmen vor neue rechtliche und organisatorische Anforderungen. CMS berät Sie umfassend bei der Einführung geeigneter Entgeltbewertungs- und Dokumentationssysteme – rechtssicher, praxisnah und passgenau für Ihr Unternehmen.

Mit unserem digitalen Analysetool CMS Pay Gap Compliance identifizieren wir etwaige Entgeltunterschiede, schaffen belastbare Bewertungsgrundlagen und begleiten Sie bei der Ausgestaltung nachhaltiger und rechtssicherer Vergütungssysteme im Einklang mit europäischem Recht.

Sprechen Sie uns gerne an – wir stehen Ihnen bei der gesetzeskonformen Umsetzung kompetent zur Seite.

* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem CMS-Blog.

Daniel Hennig
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Daniel Hennig

Rechtsanwalt

Daniel Hennig ist spezialisiert auf die Beratung von nationalen und internationalen Unternehmen aus verschiedenen Sektoren im Individual- und Kollektivarbeitsrechts. Er hat zu zahlreichen komplexen Restrukturierungen und Outsourcings – auch grenzüberschreitend – beraten. Besondere Expertise weist Daniel Hennig im Tarifrecht auf. Daniel Hennig ist ein erfahrener Berater zu den Themen Arbeit 4.0, New Work und digitaler Transformationen. Er berät u.a. zu der Einführung und gesetzeskonformen Umsetzung von mobilem Arbeiten, modernen Arbeitszeitmodellen, flexiblen Vergütungsmodellen und der Einführung von Software und IT-Tools mit datenschutzrechtlichen Implikationen.

Stephanie Witt
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Stephanie Witt

Rechtsanwältin

Stephanie Witt berät zu sämtlichen Fragen des Arbeitsrechts. Ihre besondere Expertise liegt in der Begleitung von internationalen Unternehmen mit Entscheidungsträgern im Ausland zu Restrukturierungsmaßnahmen, Betriebsübergängen und Outsourcing-Projekten. Dabei verhandelt sie schwerpunktmäßig Interessenausgleiche und Sozialpläne, aber auch sonstige Betriebsvereinbarungen, wie z.B. zur Arbeitszeit und zur Einführung von IT-Systemen. Stephanie Witt berät ferner bei der Arbeitsvertragsgestaltung, z.B. zu Mitarbeiterbeteiligungsprogrammen und variablen Vergütungsmodellen.

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