Anwendungsbereiche: 3-Stufen-Modell von KI
Die Nutzung von KI im Recruiting lässt sich in drei Stufen unterteilen. In der ersten Stufe der KI-Integration im Recruiting kommen vor allem sprachbasierte Modelle zum Einsatz. Die zweite Stufe markiert den Übergang von einer unterstützenden zu einer aktiveren Rolle der KI. In der letzten Ausbaustufe wird eine Vielzahl der rund um das Bewerbermanagement anfallenden administrativen Tätigkeiten von der KI übernommen.

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Die Nutzung von KI im Recruiting entwickelt sich schrittweise und lässt sich in drei Stufen unterteilen, die von einfachen Hilfswerkzeugen bis hin zu vollständig automatisierten Prozessen reichen.
Stufe 1 – KI-gestützte Textverarbeitung und Kommunikation: Automatisierung grundlegender Prozesse
In der ersten Stufe der KI-Integration im Recruiting kommen vor allem sprachbasierte Modelle zum Einsatz. Diese Technologien bieten eine erste Automatisierungsebene, die den Personalabteilungen vor allem bei wiederkehrenden, zeitaufwendigen Aufgaben wertvolle Unterstützung leisten kann.
In der ersten Stufe stehen textbasierte Aufgaben im Mittelpunkt. Sprachmodelle wie ChatGPT werden eingesetzt, um beispielweise Stellenausschreibungen zu optimieren. Hierbei erstellt die KI auf Grundlage weniger Stichworte vollständige, zielgruppenspezifische Anzeigen. Ebenso gewinnen Chatbots an Bedeutung, die jederzeit Fragen von Bewerbenden beantworten – etwa zu Bewerbungsfristen, benötigten Unterlagen oder zum Status ihrer Bewerbung.
Darüber hinaus kommt KI bereits beim Lebenslauf-Screening zum Einsatz (CV-Parsing). Dabei liest die Software Bewerbungsunterlagen aus und hebt relevante Informationen wie Berufserfahrung oder Schlüsselqualifikationen hervor.
Viele Recruiting-Lösungen und HR-Software-Suiten haben bereits Sprachmodelle in Form von Chatbots integriert oder stehen kurz vor der Veröffentlichung.
Anwendungsbeispiele in Stufe 1 sind:
◾ Erstellung von Stellenausschreibungen
◾ Chatbots für Bewerber und HR-User
◾ Interviewfragen erstellen
◾ Zusammenfassung von Text
◾ Auslesen von Lebensläufen
Stufe 2 – Unterstützung durch KI als Assistent
Die zweite Stufe markiert den Übergang von einer unterstützenden zu einer aktiveren Rolle der KI. Hier wird die Technologie als Assistent eingesetzt, der nicht nur Informationen liefert, sondern auch Entscheidungen vorbereitet.
So analysiert die KI beispielsweise Bewerbungen und erstellt Rankings, die auf vorher definierten Kriterien basieren. Bei der Suche nach geeigneten Kandidaten kann KI Algorithmen einsetzen, um soziale Netzwerke und Karrierenetzwerke wie XING und LinkedIn systematisch zu durchsuchen. KI unterstützt so das Active Sourcing, indem sie potenzielle Talente identifiziert und vorschlägt.
Ein weiteres mögliches Anwendungsfeld ist die Analyse von Vorstellungsgesprächen: KI-gestützte Tools können bei der Analyse von Sprache, Inhalt sowie auch nonverbaler Kommunikation wie Tonfall oder Gestik unterstützen. Ob die Personalabteilungen hierin einen Mehrwert sehen, bleibt abzuwarten.
Ein größeres Potenzial bieten KI-gestützte Datenanalysen. Die Systeme sind in der Lage, große Mengen an Daten in Echtzeit zu verarbeiten und für die Entscheidungsfindung nutzbar zu machen. So werden bereits jetzt Kennzahlen wie die durchschnittliche Zeit bis zur Besetzung einer Stelle (Time-to-Hire) oder die Erfolgsquote einzelner Recruiting-Kanäle analysiert und auf Dashboards visualisiert. Entwickler versprechen, dass KI diese Daten selbstständig durchforsten, auf Anomalien hinweisen, Trends ableiten und Optimierungspotenziale aufzeigen kann. Datengetriebene Entscheidungen werden so gefördert.
Ein weiteres spannendes Einsatzfeld in Stufe 2 ist die Bereitstellung personalisierter Empfehlungen für Mitarbeitende im Rahmen des internen Recruitings.
Hierbei analysiert die KI verfügbare Daten wie Qualifikationen, bisherige Karriereschritte oder Interessen der Mitarbeitenden und gleicht diese mit offenen Stellen im Unternehmen ab. So können beispielsweise Mitarbeitende gezielt auf interne Weiterbildungsmöglichkeiten hingewiesen werden, die zu ihrem Profil passen. Dies kann nicht nur dazu beitragen, vorhandene Talente im Unternehmen zu halten, sondern auch die Unternehmenskultur stärken, indem die Mitarbeitenden aktiv in ihre Karriereentwicklung eingebunden werden.
Viele der Recruiting-Softwareanbieter, mit denen wir im Austausch stehen, sind hier noch in der Entwicklungsphase und auf der Suche nach Anwendungen, die den Kunden einen echten Mehrwert bieten.
Anwendungsbeispiele in Stufe 2 sind:
◾ Prescreening
◾ Vorschläge für Active Sourcing und Talentpool
◾ Interview-Analyse
◾ Datenanalyse und Auswertungen
◾ Personalisierte Empfehlungen für Mitarbeitende
Stufe 3 – Automatisierte KI: Autonome Abläufe im Recruiting
In der letzten Ausbaustufe wird eine Vielzahl der rund um das Bewerbermanagement anfallenden administrativen Tätigkeiten von der KI übernommen. Die Automatisierung ist fast vollständig. Das setzt ein großes Vertrauen in die Technologie voraus und wirft sowohl ethische als auch rechtliche Fragen auf.
In der dritten und fortgeschrittensten Stufe erreicht die KI eine weitgehende Autonomie. Ziel ist es, dass viele administrativen Prozesse im Recruiting vollständig von der Technologie übernommen werden. Hierzu zählen Aufgaben wie die Erstellung und Veröffentlichung von Stellenausschreibungen, die Prüfung von Bewerbungsunterlagen, die gesamte Kommunikation mit Bewerbenden und sogar die Organisation von Vorstellungsgesprächen.
Ein Beispiel hierfür ist die vollautomatische Erstellung von Stellenanzeigen. Die KI generiert basierend auf den Anforderungen einer Position eigenständig die Inhalte und sorgt für eine optimierte Ansprache der Zielgruppe. Im Anschluss entscheidet die KI, auf welchen Plattformen die Anzeige veröffentlicht werden soll, und setzt dies ohne menschliches Eingreifen um. Solche Anwendungen können besonders für große Unternehmen mit hohem Recruiting-Volumen wie etwa in der Gastronomie oder im Einzelhandel von Vorteil sein. Allerdings stellt sich die Frage, ob der Sprachstil und die Tonalität einer rein maschinell generierten Anzeige tatsächlich die Employer Brand authentisch widerspiegeln können.
Ein weiteres Anwendungsgebiet ist die Prüfung von Bewerbungsunterlagen. Die KI analysiert hierbei nicht nur den Inhalt der Dokumente, sondern prüft auch deren Vollständigkeit. So werden fehlende Unterlagen automatisch erkannt, und Bewerbende erhalten Benachrichtigungen mit der Aufforderung, diese nachzureichen. Diese Prozesse können zwar die Effizienz steigern, bergen jedoch das Risiko, dass unorthodoxe, aber qualifizierte Profile möglicherweise durch das Raster fallen, weil sie nicht den vor[1]definierten Kriterien der KI entsprechen.
Besonders weitreichend ist der Einsatz automatisierter Kommunikationstools. In dieser Phase werden Bewerbende während des gesamten Prozesses ausschließlich von der KI betreut. Von der Einladung zum Interview bis zur Absage einer Bewerbung übernimmt die KI sämtliche Interaktionen. Auch die Planung der Vorstellungsgespräche kann vollständig automatisiert werden. Die KI gleicht dabei die Verfügbarkeiten von Bewerbenden und Recruitern ab und erstellt entsprechende Termineinladungen. Zwar erleichtert dies die Arbeit der HR-Abteilungen, doch die völlige Abwesenheit menschlicher Interaktion wird von vielen Bewerbenden als unpersönlich und abschreckend empfunden.
Ein weiteres potenzielles Einsatzfeld sind selbstlernende Systeme, die basierend auf früheren Erfolgen oder Misserfolgen prädiktive Entscheidungen treffen. Beispielsweise könnte die KI automatisch Kandidatengruppen priorisieren, die in der Vergangenheit erfolgreich eingestellt wurden. Doch genau hier liegt eine große Gefahr: Studien haben bereits gezeigt, dass solche Systeme dazu tendieren, bestehende Muster zu reproduzieren und somit unbeabsichtigt Diskriminierung zu verstärken (Bias). Kandidaten, die von traditionellen Auswahlverfahren bereits benachteiligt wurden, könnten auch in einem automatisierten Prozess ausgeschlossen bleiben.
Anwendungsbeispiele in Stufe 3 sind:
◾ Vollautomatisierte Erstellung von Ausschreibungen, Veröffentlichung von Stellenanzeigen
◾ Prüfung von Bewerbungsunterlagen auf Vollständigkeit/Lücken
◾ Automatisierte Kommunikation mit Bewerbenden
◾ Terminvereinbarung für Vorstellungsgespräche
Kritische Betrachtung der dritten Stufe
Obwohl die dritte Stufe beeindruckende Effizienzgewinne verspricht, bringt sie auch schwerwiegende Herausforderungen mit sich. Eine vollständig automatisierte Kommunikation könnte das Bewerbererlebnis negativ beeinflussen, insbesondere in Branchen, in denen individuelle Ansprache ein wichtiger Teil der Unternehmenskultur ist. Zudem wird die Frage nach der Verantwortung für Entscheidungen dringlicher: Wenn eine KI fälschlicherweise einen Kandidaten ablehnt oder die Kommunikation fehlerhaft ist, wer trägt dann die Verantwortung?
Ein weiteres kritisches Thema ist die Akzeptanz solcher Technologien. Während jüngere Generationen möglicherweise offener für den Kontakt mit KI sind, könnten andere Gruppen diese Automatisierung als kalt oder sogar abschreckend empfinden. Unternehmen, die sich zu stark auf automatisierte Prozesse verlassen, riskieren zudem, wichtige menschliche Nuancen zu übersehen, die für die Auswahl eines passenden Kandidaten entscheidend sein können.
Darüber hinaus bleiben rechtliche und ethische Fragen offen. Die EU hat im Mai 2024 mit dem AI Act strenge Regeln aufgestellt, die festlegen, in welchem Ausmaß künstliche Intelligenz autonom agieren darf. Daneben gilt es, den zurecht hohen Ansprüchen der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) Rechnung zu tragen. Immerhin handelt es sich um personenbezogene Daten. Eine KI, die Entscheidungen vollständig autonom trifft, muss nicht nur transparent arbeiten, sondern auch sicherstellen, dass sie alle gesetzlichen Vorgaben einhält. Diese Anforderungen werden den Fortschritt solcher Technologien vermutlich verlangsamen.
Die dritte Stufe stellt also einen technologischen Meilenstein dar, sollte jedoch mit Bedacht eingeführt werden. Unternehmen, die sich für diese Ausbaustufe entscheiden, müssen sorgfältig abwägen, welche Prozesse automatisiert werden können, ohne den Faktor Mensch und die Unternehmenskultur aus den Augen zu verlieren.
Autor: Dominic Daubenberger ist Geschäftsführer von Consult-HR und berät als Senior Consultant Unternehmen bei der Digitalisierung von HR-Prozessen sowie bei der Auswahl und Einführung von HR-Lösungen. Der gelernte Historiker ist seit 2010 als Unternehmensberater mit Schwerpunkt Personalmanagement-Software tätig und hat mit Consult-HR 2017 ein eigenes spezialisiertes HR-Beratungshaus gegründet.
www.consult-hr.de

Dieser und weitere Beiträge finden sich im Whitepaper „KI im Recruiting“.