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Wie das Neue ins Unternehmen kommt : Innovationsmanagement

Einer der Software-Ingenieure, der an Star Raiders arbeiten wollte, bekam zu hören: „Ein Spiel, bei dem man im Weltraum herumfliegt und andere Raumschiffe abschießt? Das ist die dümmste Idee, die uns je untergekommen ist.“ Star Raiders ist nur deshalb fertiggeworden, weil der Entwickler vorgab, sich um die regulären Atari-Programme zu kümmern – und weil dessen direkte Führungskraft ihn nach oben hin deckte. Unsere Autorin Anne M. Schüller fordert einen Schutzraum für Neu- und Weiterdenker.

7 Min. Lesezeit
Eine Hand skizziert etwas auf einem Blatt, gezeigt werden neue Ideen und Innovationen
Foto: ©AdobeStock/Chandlerlikes

Wer Innovationen in die Welt bringen will, muss den Mitarbeitenden Innovationsfreiräume geben. Zudem braucht es eine Kultur, die neue Ideen willkommen heißt und das Vorwärtsdenken für alle Beschäftigten im Unternehmen zu einer Selbstverständlichkeit macht.

Ein Vogel kann nur zeigen, wie hoch und wie weit er fliegt, wenn man ihn aus seinem Käfig entlässt. Genauso muss ein Unternehmen, das die Zukunft erreichen will, die Flugversuche seiner begabten Talente, seiner mutigen Innovatoren und eifrigen Übermorgengestalter bereitwillig fördern.

Denn es braucht viele Ausgangsideen, damit schließlich bahnbrechende Innovationen gelingen. Und vielen klugen Köpfen fällt immer mehr ein als einem allein. Nur wer viel würfelt, der würfelt am Ende auch Sechser.

Den unverstellten Blick der „Neulinge“ nutzen

Egal, auf welcher Ebene und in welchem Bereich, jeder Mitarbeitende kann auf seine Weise Ideen einbringen, die den entscheidenden Unterschied machen. Das gilt ganz besonders für fähige Neuankömmlinge, weil die noch nicht betriebsblind sind.

Leider sind gar nicht so selten gerade die hochengagierten Talente oft bereits nach den ersten Arbeitstagen derart frustriert von dem, was sie gleich anfangs erleben, dass sie das Unternehmen am liebsten sofort wieder verlassen. Und oft genug tun sie das auch.

Die Oberen bekommen die wahren Gründe für das frühe Ausscheiden der Neuen meist gar nicht mit. Für sie ist es völlig normal, diese zunächst „einzunorden“, indem man sie vor allem mit dem im Unternehmen üblichen „richtigen“ Verhalten vertraut macht.

Viel sinnvoller ist es doch logischerweise, die anfangs noch unverstellten Sichtweisen der Newcomer klug zu nutzen, solange sie noch vorhanden sind. Insofern sollten wir in einen gut gemachten Onboarding-Prozess die Suche nach innovativen Ideen integrieren.

Mit Tablet oder Klemmbrett auf Verbesserungsjagd

Natürlich braucht es für Neuankömmlinge einen Integrationsprozess, doch gerade am Anfang auch bereits Spielraum, um Eigeninitiative zu zeigen. Neue Mitarbeitende sollten intensiv ermutigt werden, ihren noch ungetrübten Blick konstruktiv einzusetzen.

Was sie stattdessen meist lernen: bloß nicht anecken, in keine Tretminen stolpern, die geltenden Verhaltensregeln beachten, damit man die Probezeit übersteht. So fädeln sie sich unreflektiert in die mehr oder weniger stark ritualisierte Betriebskultur ein.

Um stattdessen den Neueinsteiger-Effekt zu nutzen, könnten Sie es zur Bedingung machen, dass Mitarbeitende, um die Probezeit zu bestehen, in den ersten sechs Monaten eine eigene Initiative beziehungsweise einen Optimierungsvorstoß in Gang bringen, der idealerweise schon erste Erfolge zeigt.

Schicken Sie dazu die Newcomer, begleitet von einem forschen Kollegen, mit einem Tablet oder Klemmbrett durch die Firma, um Überholtes zu identifizieren und sich auf die Suche nach neuen Ideen zu machen. So können sie sogar zum Sprachrohr derjenigen werden, die Veränderungen längst ebenfalls wollen, dies aber nicht zu sagen wagen.

Sind Neudenker bei Ihnen tatsächlich willkommen?

Leider geht nach der Probezeit die Anpasserei oft erst so richtig los. Statt den Neuen Freiraum zur Eigenentwicklung zu geben, werden ihnen im Rahmen standardisierter Weiterbildungsprogramme vorgezeichnete Trainings verordnet.

Diese sollen sie im Rahmen einer festgezurrten Stellenbeschreibung auf Aufgabenstellungen vorbereiten, die dann routinemäßig abzuspulen sind. Doch Vorsprung entsteht nicht durch mehr vom Gleichen, sondern durch Andersmachen und unkonventionelle Ideen als Basis für Innovationen.

Genormtes Vorratslernen schafft Klone, die ähnlich denken, ähnlich ticken und ähnlich handeln. Zu Zeiten der industriellen Massenproduktion war solche „homosoziale Reproduktion“ vielleicht richtig. Doch in Hochgeschwindigkeitswildwasserzeiten ist das gefährlich, weil es den Konformismus begünstigt und damit Stillstand bewirkt.

Wer Konformismus favorisiert, bekommt Stillstand

Konformismus favorisiert die Regel, das Übliche, das, was alle machen – und nicht die Ausnahme, die Varianz und das Fortschritt bringende Neue.

Insofern stellen sich zunächst folgende Fragen:

• Wie bereit ist unsere Firma wirklich für Vorwärtsdenker, die unkonventionelle Ideen einbringen wollen? Und wie gehen wir mit ihnen und ihren Vorstößen um?

• Welche Rahmenbedingungen müssen wir schaffen oder verändern, damit interne Neudenker zügig ins Wirken kommen, um uns fit für die Zukunft zu machen?

Machen Sie im Vorfeld dazu eine anonyme interne Kurzumfrage, um festzustellen, ob Neudenker bei Ihnen tatsächlich willkommen sind und welche erlebten Geschichten es dazu gibt. Sie werden sich womöglich wundern, was Sie so alles zu hören bekommen.

Vorsprung entsteht durch Andersdenken und -tun

Für das Neudenken nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch offen zu sein, das sind zwei ganz verschiedene Dinge. Darf man bei Ihnen überhaupt spontane kreative Ausbrüche haben? Darf man eine atemberaubende Idee auch ungefragt präsentieren?

Und ist es bei Ihnen möglich, sich in Eigenregie mit zwei, drei Kollegen aus anderen Bereichen mal für ein paar Stunden zusammenzutun, um über eine fachübergreifende Neuerung nachzudenken – während der Arbeitszeit und ohne beim Vorgesetzten eine offizielle Genehmigung einzuholen?

Der Softwarehersteller Adobe toleriert das nicht nur, sondern fördert dies sogar aktiv. Dazu wurde unter anderem ein Tool namens Kickbox entwickelt, mit dem Adobe seine Mitarbeitenden zu Erfindern macht. Wer an diesem Programm teilnehmen will, erhält im Rahmen einer Einführungsveranstaltung eine rote Schachtel.

Diese enthält eine Anleitung, wie man einen Innovationsprozess startet. Außerdem befindet sich darin eine Prepaid-Kreditkarte mit einem Limit von 1000 Dollar für die Anschubfinanzierung. Die Beschäftigten können sich freistellen lassen, um an solchen Projekten zu arbeiten.

Freidenker brauchen Eigenzeit für kreative Ideen

Eigenzeit zwecks Fortentwicklung kreativer Gedanken ist unglaublich wichtig. In der Hektik des Tagesgeschäfts ist meist gar kein Platz, um sich ausgiebig mit Zukunftsideen zu befassen. Gestatten Sie kreativen internen Freigeistern zum Beispiel, dass sie für vier bis sechs Wochen freitagnachmittags an ihren eigenen Projekten arbeiten dürfen.

Lassen Sie sie in dieser Zeit unbehelligt, verlangen Sie keine ständigen Statusberichte und auch keine Zwischendurchpräsentationen. Erst am Ende der festgelegten Zeit werden die ausgearbeiteten Lösungsvorschläge dem Entscheidungsgremium vorgestellt.

Leider steht ein konservatives Top-Management den wirklich innovativen Ideen oft eher im Weg. Ein Beispiel dafür? Als vor Jahren enthusiastische Entwickler bei Atari begannen, Videospiele zu konzipieren, hieß es aus der Chefetage: „Es gibt keinen Markt für diese Spiele. Atari ist nicht daran interessiert, Spiele für Computer zu produzieren.“

Einer der Software-Ingenieure, der an Star Raiders arbeiten wollte, bekam zu hören: „Ein Spiel, bei dem man im Weltraum herumfliegt und andere Raumschiffe abschießt? Das ist die dümmste Idee, die uns je untergekommen ist.“

Schutzräume für Weiterdenker sind ein Muss

Star Raiders ist nur deshalb fertiggeworden, weil der Entwickler vorgab, sich um die regulären Atari-Programme zu kümmern – und weil dessen direkte Führungskraft ihn nach oben hin deckte. Das Spiel wurde zu einem Verkaufsschlager – und von der Stanford University zu einem der zehn wichtigsten Computerspiele aller Zeiten gekürt.

Ein Profi in seinem Fach weiß eben mehr über eine Sache als die oberste Etage weit weg vom Schuss. Ergo: Wer Innovationen will, muss offen sein fürs Innovieren und braucht eine Strategie, die Innovationskompetenz unternehmensweit stimuliert, Bemühungen auf dem Innovationsweg würdigt und innovative Resultate belohnt.

Wer indes Anerkennung dafür erhält, dass er vorgezeichneten Verfahrensweisen akribisch folgt, wird sich niemals an Neues wagen. Demgegenüber sind Schutzräume für Weiterdenker sehr kreativitätsförderlich. Sie erzeugen pulsierenden Tatendrang und ein Treibhausklima für brillante Ideen. Ist das bei Ihnen tatsächlich gegeben?

Die Rahmenbedingungen, damit das Neue entsteht

In fortschrittlichen Unternehmen wird fortlaufend innoviert – sowie ausreichend Zeit und Geld dafür investiert. Dazu hier ein paar entscheidende Regeln:

• Ermutigen Sie jeden im Unternehmen, neue Ideen einzubringen.
• Geben Sie Innovatoren die offizielle Erlaubnis zum Scheitern.
• Richten Sie eine hausinterne interaktive Ideenbank ein.
• Feiern Sie das Erreichen des Gipfels und die Art des Aufstiegs.
• Ruhen Sie sich danach nicht aus, suchen Sie sich höhere Berge.
• Planen Sie ein, dass es nicht gleich beim ersten Mal klappt.
• Halten Sie Spielgeld bereit, budgetieren Sie Misserfolge.
• Implementieren Sie kluge Kennzahlen für Innovationstätigkeit.
• Incentivieren Sie mit Fokus auf Innovationen, nicht aufs Quartal.
• Tragen Sie nicht realisierte, abgewählte Ideen würdig zu Grabe.

Mein wichtigster Tipp: Fangen Sie mit all dem rechtzeitig an. Wer erst dann erschreckt losrennt, wenn der Umsatzzenit überschritten wird, ist zu spät dran. Zunächst sinken die Margen, dann die Erträge. Im Abwärtstrend lässt sich der benötigte Vorlauf nicht mehr finanzieren, denn ausgerechnet für Investitionen fehlt dann das nötige Geld.

Anne Schüller

Anne M. Schüller ist Managementdenker, Keynote-Speaker, mehrfach preisgekrönte Bestsellerautorin und Businesscoach. Die Diplom-Betriebswirtin gilt als eine führende Expertin für das Touchpoint Management und eine kundenzentrierte Unternehmensführung. Zu diesen Themen hält sie Impulsvorträge auf Tagungen, Fachkongressen und Online-Events.

Cover Zukunft meistern

Anne M. Schüller
Zukunft meistern
Das Trend- und Toolbook für Übermorgengestalter
Gabal Verlag 2024, 232 S., 29,90 €
ISBN: 978-3-96739-181-7

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