Karriere-Booster oder gläserne Decke? : Über Erwartungen und Wirklichkeit weiblicher Führungskräfte in der Finanzwelt
Frauen empfinden die Finanzbranche als weniger attraktiv als Männer, wie eine neue Studie zeigt. Dies hängt insbesondere mit den Prioritäten zusammen: Während Männer häufiger von Status und finanziellen Anreizen motiviert werden, legen Frauen größeren Wert auf Work-Life-Balance und zwischenmenschliche Beziehungen am Arbeitsplatz.

Die Finanzbranche gilt als ein Bereich mit hohem Prestige, exzellenten Verdienstmöglichkeiten und zahlreichen Karrierechancen. Dennoch bleibt der Anteil von Frauen in Führungspositionen weiterhin gering. Eine aktuelle Studie unter 400 Master-in-Management-Studierenden der ESCP Business School von Professorin Marion Festing und Almudena Cañibano, durchgeführt im Rahmen des dortigen „Women in Finance Chair“, zeigt auf, warum Frauen seltener eine Karriere in der Finanzwelt anstreben als ihre männlichen Kommilitonen – und was Unternehmen tun können, um diese Lücke zu schließen.
Karriereambitionen und Realität: Ein Widerspruch?
Ein häufiges Vorurteil lautet, dass Frauen weniger karriereorientiert seien als Männer. Die Studie widerlegt dieses Klischee jedoch eindeutig: Frauen streben ebenso oft nach Führungspositionen wie ihre männlichen Kollegen. Dennoch äußern lediglich 49,1 % der befragten Frauen Interesse an einer Spezialisierung in der Finanzbranche, während dieser Wert bei den Männern bei 76,6 % liegt. Diese Diskrepanz verdeutlicht, dass nicht die Ambitionen der Frauen das Problem sind, sondern die Wahrnehmung und Attraktivität der Finanzbranche für sie.
Der Einfluss früher Erfahrungen
Ein entscheidender Faktor für die Berufswahl ist die frühzeitige Berührung mit der Finanzwelt. Während 44,4 % der befragten Männer bereits vor ihrem Studium Erfahrungen im Finanzsektor gesammelt haben, trifft dies nur auf 30,08 % der Frauen zu. Diese Differenz legt nahe, dass fehlender früher Kontakt zur Branche dazu führen kann, dass sich Frauen weniger für eine Karriere in diesem Berufsfeld interessieren. Unternehmen sollten daher verstärkt Initiativen fördern, die jungen Frauen bereits frühzeitig Einblicke und praktische Erfahrungen ermöglichen.
Bildung und familiäre Prägung
Interessanterweise stammen mehr Frauen als Männer aus akademisch geprägten Familien: 74,8 % der befragten Frauen haben Mütter mit einem Universitätsabschluss (vs. 64,1 % der Männer), während 79,2 % der Väter der weiblichen Studienteilnehmer studiert haben (vs. 70,5 % bei den Männern). Dennoch führt dieser Bildungsvorsprung nicht zu einer stärkeren Präsenz in der Finanzwelt. Dies könnte darauf hindeuten, dass familiäre Vorbilder oder gesellschaftliche Erwartungen eine größere Rolle bei der Berufswahl spielen als die reine Bildungsherkunft.
Warum Frauen Finanzkarrieren meiden
Ein zentrales Ergebnis der Studie ist, dass Frauen die Finanzbranche als weniger attraktiv empfinden als Männer . Dies hängt insbesondere mit den Prioritäten zusammen: Während Männer häufiger von Status und finanziellen Anreizen motiviert werden, legen Frauen größeren Wert auf Work-Life-Balance und zwischenmenschliche Beziehungen am Arbeitsplatz. Die oft als hart und konkurrenzgetrieben wahrgenommene Kultur des Finanzsektors könnte dabei ein Grund sein, warum weibliche Arbeitnehmerinnen sich von diesem Sektor nicht angesprochen fühlen.
Das Selbstbewusstseins-Problem
Ein weiteres Hindernis für Frauen in der Finanzbranche ist der sogenannte „Confidence Gap“. Frauen schätzen ihre Fähigkeiten in Finanzthemen signifikant niedriger ein als Männer, obwohl keine messbaren Leistungsunterschiede bestehen. Dieses geringere Selbstbewusstsein könnte dazu führen, dass Frauen sich seltener für Finanzkarrieren entscheiden oder sich in diesem Bereich weniger durchsetzen.
Die Rolle der Unternehmenskultur
Trotz des hohen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ansehens der Finanzbranche entscheiden sich viele Frauen bewusst gegen eine Karriere in diesem Umfeld. Stattdessen zieht es sie vermehrt in Bereiche wie Marketing, Personalwesen oder kulturelle Institutionen – Felder, die häufig stärker werteorientiert, kommunikationsintensiv und kooperationsbasiert ausgerichtet sind. Diese Tendenz legt nahe, dass die Unternehmenskultur in der Finanzbranche nicht mit den beruflichen Erwartungen und Wertvorstellungen vieler Frauen übereinstimmt.
Für Unternehmen bedeutet das: Es reicht nicht aus, nur auf Diversität zu setzen – sie müssen auch ihre eigene Kultur kritisch hinterfragen. Welche unausgesprochenen Normen, Verhaltensweisen oder Strukturen könnten abschreckend wirken? Inwiefern spiegeln Führung, Arbeitsklima und interne Kommunikation tatsächlich Vielfalt und Offenheit wider? Nur wer bereit ist, Kultur, Werte und Rahmenbedingungen aktiv weiterzuentwickeln, wird langfristig auch weibliche Talente gewinnen und halten können.
Handlungsempfehlungen für Unternehmen
Um mehr Frauen für die Finanzbranche zu begeistern und langfristig zu binden, sollten Unternehmen auf verschiedenen Ebenen ansetzen:
- Frühzeitige Förderung: Kooperationen mit Schulen und Universitäten sowie gezielte Mentoring-Programme können jungen Frauen bereits frühzeitig Zugang zur Finanzwelt ermöglichen und bestehende Hemmschwellen abbauen.
- Unternehmenskultur anpassen: Eine inklusive Arbeitsumgebung, die nicht ausschließlich auf Wettbewerb und Leistungsdruck setzt, kann die Attraktivität für weibliche Talente steigern. Flexible Arbeitsmodelle und familienfreundliche Strukturen sind dabei zentrale Faktoren.
- Vorurteile abbauen: Unternehmen sollten gezielt an der Förderung des Selbstbewusstseins von Frauen in Finanzthemen arbeiten, etwa durch Trainings, Workshops und sichtbare weibliche Vorbilder in Führungspositionen.
- Attraktive Karrierewege aufzeigen: Finanzunternehmen sollten ihre Employer-Branding-Strategien überdenken und klarer kommunizieren, welche vielfältigen und sinnstiftenden Karrierewege es in der Branche gibt – jenseits der traditionellen, männlich geprägten Karrieremuster.
- Rekrutierung überdenken: Schon im Recruiting-Prozess sollten Sprache, Bildsprache und Auswahlkriterien hinterfragt werden. Diversität beginnt bei der Ansprache – und entscheidet sich oft schon bei der ersten Wahrnehmung eines Unternehmens.
- Diversitätsstrategien konsequent umsetzen: Unternehmen, die Diversität als strategischen Vorteil begreifen, sollten messbare Ziele setzen, um den Anteil von Frauen in Finanzberufen und Führungspositionen gezielt zu erhöhen.
Fazit: Finanzbranche im Wandel
Die Finanzbranche steht vor der Herausforderung, sich als attraktive Karriereoption für weibliche Talente neu zu positionieren. Die Studie von Marion Festing und Almudena Cañibano zeigt, dass Frauen nicht weniger ambitioniert sind als Männer – doch die Branche muss sich verändern, um ihre Talente gezielt anzusprechen und zu halten. Unternehmen, die dies erkennen und entsprechend handeln, werden nicht nur von einer vielfältigeren Belegschaft profitieren, sondern auch langfristig wettbewerbsfähiger sein.

Prof. Dr. Marion Festing ist Inhaberin des Lehrstuhls für Human Resource Management und Interkulturelle Führung an der ESCP Business School Berlin und zudem Co-Direktorin des neuen ESCP-Lehrstuhls “Women in Finance”. Sie ist Gründerin und akademische Leiterin des Talent Management Institute (TMI) sowie des Excellence Centre for Intercultural Management and Diversity (CIMDI). Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören „Talent Management“, „Diversity & Inclusion“, „International Human Resource Management“, „New Ways of Working“ und „Sustainable HRM“, oft mit dem Fokus auf Gender Diversity.