Fristlose Kündigungen im Rahmen interner Untersuchungen
Gerade wenn mehrere Personen von einem Compliance-Vorwurf betroffen sind, ist das Gewicht der jeweiligen Pflichtverletzungen, die Mitwirkungsanteile der betroffenen Mitarbeiter und ihre Rollen im Verhältnis zueinander von entscheidender Bedeutung für die (Kündigungs-)Entscheidung.
Die außerordentliche Kündigungsfrist beginnt nach Abschluss der internen Untersuchung und wird während der laufenden Sachverhaltsaufklärung gehemmt.
Haben interne Untersuchungen ein mögliches Fehlverhalten eigener Mitarbeiter* zum Gegenstand, ist stets die zweiwöchige Erklärungsfrist für eine außerordentliche Kündigung im Blick zu behalten. Gemäß § 626 Abs. 2 BGB beginnt diese mit Kenntniserlangung von den für die Kündigung relevanten Tatsachen durch den Kündigungsberechtigten. Gerade bei komplexen internen Untersuchungen, die sich über einen längeren Zeitraum erstrecken, ist es in der Praxis häufig schwierig, den relevanten Zeitpunkt des Fristbeginns zu bestimmen. Dies hat zur Folge, dass in späteren gerichtlichen Auseinandersetzungen regelmäßig der Fristbeginn ein zentraler Streitpunkt ist. Dabei wird oftmals darüber gestritten, ob und inwieweit die Besonderheiten einer komplexen internen Untersuchung bei der Bestimmung des Fristbeginns zu berücksichtigen sind.
In der Vergangenheit gab es zur Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB Rechtsprechung, die mit den Aufklärungszwecken einer internen Untersuchung nicht in Einklang zu bringen war und dadurch Arbeitgeber vor nahezu nicht lösbare Herausforderungen stellte (so z.B. das LAG BW, Urteil v. 3. November 2021 – 10 Sa 7/21). Erfreulicherweise ist spätestens seit Mai 2022 mit Urteil des Bundesarbeitsgericht (BAG, Urteil v. 5. Mai 2022 – 2 AZR 483/21) geklärt, dass interne Untersuchungen Einfluss auf den Fristbeginn haben. Wie sich dieser Einfluss nach der Rechtsprechung des BAG darstellt, wird im Folgenden dargestellt.
Laufende interne Untersuchungen hemmen fristauslösende Kenntnis
Umfassende interne Untersuchungen – sei es durch die Compliance-Abteilung oder eine externe Kanzlei – hemmen den Beginn der Kündigungserklärungsfrist, und zwar solange diese der Sachverhaltsaufarbeitung und nicht ausschließlich präventiven Zwecken dienen. Dies gilt selbst dann, wenn die interne Untersuchung nicht – wie beispielsweise bei Ermittlungen durch die Personalabteilung – auf die Aufdeckung der kündigungsrelevanten Tatsachen beschränkt ist. Insofern ist im Rahmen des § 626 Abs. 2 BGB der Sinn und Zweck einer internen Untersuchung, Verdachtsfälle umfassend und gründlich aufzuklären sowie zukünftige Verstöße zu verhindern, zu berücksichtigen. Andernfalls würde man bei jeder Untersuchung Gefahr laufen, die Gründlichkeit der Sachverhaltsaufklärung – auch zum Nachteil des potentiell zu kündigenden Mitarbeiters – zu vernachlässigen.
Fristbeginn nach Abschluss der internen Untersuchung
Die Zwei-Wochen-Frist beginnt grundsätzlich in dem Moment, in dem die interne Untersuchung abgeschlossen und das Ergebnis dem Kündigungsberechtigten mitgeteilt wird. Regelmäßig ist dies der Zeitpunkt, in dem der Abschlussbericht zur internen Untersuchung ausgehändigt oder präsentiert wird. Es ist nicht erforderlich, dass sich der Kündigungsberechtigte bereits während der laufenden Untersuchung turnusmäßig über den aktuellen Stand informieren lässt, um hierdurch ggf. eine frühere Kenntnis zu ermöglichen.
Verhalten Dritter mitunter relevant für individuell zu bestimmende Kündigungsfrist
Grundsätzlich gilt, dass der Beginn der Zwei-Wochen-Frist für jeden Mitarbeiter individuell zu bestimmen ist, und zwar selbst dann, wenn mehrere Mitarbeiter von einem Compliance-Vorwurf betroffen sind. Dies hat aber nicht zwangsläufig zur Folge, dass die interne Untersuchung aus Gründen des § 626 Abs. 2 BGB nach Betroffenen aufzuteilen ist. Vielmehr beginnt die Kündigungserklärungsfrist regelmäßig erst nach Abschluss der Ermittlungen hinsichtlich aller im Verdacht stehenden Mitarbeiter. Denn für den Fristbeginn kommt es nicht allein auf die Kenntnis der jeweiligen individuell zu bestimmenden Pflichtverletzung an. Relevant sind vielmehr sämtliche Tatsachen, die zur Entscheidung über die Zumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderlich sind. Diese Tatsachen umfassen regelmäßig aber auch das Verhalten Dritter. Gerade wenn mehrere Personen von einem Compliance-Vorwurf betroffen sind, ist das Gewicht der jeweiligen Pflichtverletzungen, die Mitwirkungsanteile der betroffenen Mitarbeiter und ihre Rollen im Verhältnis zueinander von entscheidender Bedeutung für die (Kündigungs-)Entscheidung. Beispielsweise wiegt ein Fehlverhalten weniger schwer, wenn der betroffene Mitarbeiter unter Einfluss seines Vorgesetzten gehandelt hat, als wenn er das Geschehen aktiv gefördert oder gar initiiert hätte.
Kenntnis des Kündigungsberechtigten entscheidend – Keine Zurechnung Dritter
Für den Fristbeginn relevant ist allein die Kenntnis des Kündigungsberechtigten. Bei juristischen Personen sind dies i.d.R. die gesetzlichen Vertreter und solche Personen, denen das Kündigungsrecht übertragen wurde. In der Praxis wird regelmäßig die Compliance-Abteilung als erstes über das Ergebnis der internen Untersuchung unterrichtet. Sofern in dieser Abteilung keine Berechtigung zum Ausspruch von Kündigungen liegt, kann deren Unterrichtung auch nicht die Zwei-Wochen-Frist auslösen. Insbesondere müssen sich die Kündigungsberechtigten die Kenntnis anderer Personen, wie z.B. des Compliance-Leiters, nicht zurechnen lassen. Dies hat der BAG mit seinem Urteil aus 2022 klargestellt und damit frühere – teils missverständliche – Rechtsprechung ins rechte Licht gerückt:
Mit der vom Senat vereinzelt verwandten Formulierung, der Arbeitgeber müsse sich ggf. die Kenntnis auch anderer Personen „nach Treu und Glauben zurechnen“ lassen […], ist keine Wissenszurechnung analog § 166 BGB angesprochen […]
Vorverlagerung des Fristbeginns erst bei treuwidriger Kenntnisverzögerung
Auf den tatsächlichen Zeitpunkt der Kenntniserlangung kann sich ein Arbeitgeber im Rahmen der Kündigungserklärungsfrist nur dann nicht mehr berufen, wenn der Kündigungsberechtigte seine Kenntniserlangung treuwidrig verzögert. Die Anforderungen hierfür sind jedoch nach den Grundsätzen von Treu und Glauben gem. § 242 BGB hoch:
- Erforderlich ist zunächst, dass der Kündigungsberechtigte seine Unterrichtung nach Abschluss der internen Untersuchung aktiv und zielgerichtet verzögert oder behindert. Es reicht nicht aus, dass die verzögerte Unterrichtung auf ein internes Organisationsverschulden zurückzuführen ist. Hintergrund ist, dass die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB positive Kenntnis voraussetzt; grob fahrlässige Unkenntnis reicht gerade nicht aus.
- Weitere Voraussetzung ist, dass dem Kündigungsberechtigten eine frühere Kenntniserlangung tatsächlich auch möglich gewesen wäre. Hierfür reicht es nicht aus, wenn eine nicht kündigungsberechtigte Aufsichtsperson von einer konkreten Pflichtverletzung Kenntnis erlangt und dem Kündigungsberechtigten hiervon bereits zu einem früheren Zeitpunkt hätte berichten können. Denn zu den kündigungsrelevanten Tatsachen gehören – wie bereits erwähnt – eben nicht nur die Pflichtverletzung, sondern auch solche Umstände, die zur Entscheidung über die Zumutbarkeit der Fortführung des Arbeitsverhältnisses relevant sind. Unter den nicht kündigungsberechtigten Personen ist eine Kenntnis über solche Umstände nach Auffassung des BAG aber nur bei denjenigen anzutreffen, die
eine so herausgehobene Position und Funktion [innehaben], dass sie tatsächlich und rechtlichin der Lage [sind], den Sachverhalt so umfassend zu klären, dass der Kündigungsberechtigte allein aufgrund dieses Kenntnisstandes und ohne weitere Nachforschungen seine (Kündigungs-)Entscheidung abschließend treffen kann.
Die Darlegungs- und Beweislast für eine solche treuwidrige Verzögerung trägt der Mitarbeiter, der sich auf den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung beruft, wobei den Arbeitgeber wegen größerer Sachnähe eine sekundäre Darlegungslast treffen kann.
Ziele einer internen Untersuchungen stehen in Einklang mit Kündigungserklärungsfrist
Das BAG schafft mit den dargestellten Grundsätzen erfreulicherweise Rechtssicherheit im Rahmen von internen Untersuchungen, die Anlass zu außerordentlichen Kündigungen geben. Dadurch wird es Arbeitgebern ermöglicht, ihrer Compliance-Verantwortung vollumfänglich nachzukommen, ohne sich hierbei zwischen umfassender Sachverhaltsaufklärung und Einhaltung der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB entscheiden zu müssen. Insbesondere wird bestätigt, dass die Ermittlungsziele einer internen Untersuchung nicht im Widerspruch stehen zum Sinn und Zweck des § 626 Abs. 2 BGB, dem Kündigungsgegner möglichst rasch Gewissheit zu verschaffen. Vielmehr sorgt die Durchführung von umfassenden internen Untersuchungen durch die interne Compliance-Abteilung oder spezialisierte Anwaltskanzleien für Steigerung der Effektivität der Sachverhaltsaufklärung und damit – auch im Sinne der betroffenen Mitarbeiter – für sachgerechte Entscheidungen.
* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.
Counsel
Rechtsanwältin
Carolin Ebke berät mittelständische und börsennotierte Unternehmen im Bereich Compliance. Die Beratung umfasst präventive Compliance-Themen sowie die Einführung und Umsetzung von Compliance-Management-Programmen. Außerdem unterstützt sie bei internen Ermittlungen zur Aufklärung und Aufarbeitung von Compliance-Verstößen. Daneben betreut sie wirtschaftsstrafrechtliche Mandate in Schadensersatzprozessen sowie gegenüber Ermittlungsbehörden und Strafgerichten.