Bundesrat fordert Reduzierung der Leiharbeit in der Pflege
Neben den bekannten Maßnahmen zur Bekämpfung des Fachkräftemangels finden die Herausforderungen durch die Leiharbeitsfrage in der Pflege bisher in der Öffentlichkeit kaum Beachtung. Die Rufe nach einer gesetzlichen Regelung werden jedoch insbesondere von Seiten der Krankenhaus- und Pflegeeinrichtungsträger immer lauter.
Die Personallage in der Pflegebranche macht den Einsatz von Leiharbeit derzeit oft unverzichtbar. Ungeachtet dessen will der Bundesrat diese beschränken.
Höhere Gehälter, flexiblere Arbeitszeiten, leichtere Familienvereinbarkeit – diese und weitere verlockende Benefits sollen Pflegefachkräfte in Leiharbeitsfirmen erwarten. Die zu verrichtende Arbeit bleibt dabei dieselbe, nur die feste Anstellung bei einem Krankenhaus oder einer Pflegeeinrichtung wird aufgegeben. Die höheren Kosten des aufgrund des hohen Personalbedarfs oftmals notwendigen Leiharbeitnehmereinsatzes und der Planungsmehraufwand treffen hingegen die Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen.
Vor dem Hintergrund laut gewordener Kritik – auch aus der der Pflegebranche selbst – soll dieses Thema auch politisch angegangen werden. Neuen Schwung in die Debatte brachte zuletzt der Bundesrat, der sich mit einer Initiative am 2. Februar 2024 an die Bundesregierung gewandt hat (BR-Drs. 214/23) und darin deutliche Forderungen zur „Eindämmung der Leiharbeit in der Pflege“ stellt.
Ausgangspunkt: (Angespannte) Personallage in der Pflegebranche
Der Wandel der Personallage in den Pflege- und Krankeneinrichtungen lässt sich an Zahlen festmachen: Seit 2013 ist die Anzahl der Pflegefachkräfte in Leiharbeitsverhältnissen um ein Drittel gestiegen. Gleichzeitig sagen Prognosen voraus, dass bis zum Jahr 2035 in der stationären Versorgung bis zu 307.000 Pflegefachkräfte fehlen werden. Die Anbahnung eines personellen Dilemmas, das bereits heute in einigen Einrichtungen durch den Einsatz von Leiharbeitskräften externer Personaldienstleiter aufgefangen wird, ist in der gesellschaftlichen Diskussion angekommen.
Während die Gründe für den Wechsel einer Pflegekraft zum Personaldienstleister oftmals hochpersönlicher Natur sind, besteht für die gesamte Branche das Risiko, dass sich durch den durch Zeitarbeitsfirmen erzeugten Wettbewerb die allgemeinen Arbeitsumstände in den Einrichtungen weiter verschärfen. Denn den Leiharbeitskräften werden durch die Personaldienstleister – so wird zumindest berichtet – in der Regel die Wunscharbeitsbedingungen gewährt, die die Einrichtungen selbst ihren Mitarbeitenden nicht gewähren können. Das Stammpersonal, welches weiterhin den Großteil der Pflege sicherstellt, kann am anderen Ende ungewollt Nachteile erfahren. Durch die den Leiharbeitnehmern* teilweise gewährte freie zeitliche Auswahlmöglichkeit der Arbeitseinsätze bleiben z.B. oftmals nur die unbeliebteren Nacht- oder Abendschichten für die feste Belegschaft. Auch die übrigen Umstände könnten eine empfundene Ungleichbehandlung beider Arbeitnehmergruppen befeuern und so zu einer Spaltung der Mitarbeiterschaft führen.
Bislang geltende Regelungen zur Leiharbeit in der Pflege seien nicht ausreichend
Neben den bekannten Maßnahmen zur Bekämpfung des Fachkräftemangels finden die Herausforderungen durch die Leiharbeitsfrage in der Pflege bisher in der Öffentlichkeit kaum Beachtung. Die Rufe nach einer gesetzlichen Regelung werden jedoch insbesondere von Seiten der Krankenhaus- und Pflegeeinrichtungsträger immer lauter, sodass sich nunmehr der Bundesrat veranlasst sieht, sich der Einschränkung der Leiharbeit anzunehmen.
Die von Bayern angestoßene Initiative zur „Eindämmung der Leiharbeit in der Pflege″ stieß auf eine große Mehrheit im Bundesrat. Denn das bereits geltende Bundesrecht trage der besonderen Situation in der Pflege bislang nicht angemessen und ausreichend Rechnung. Der Bundesrat nennt konkret die im Gesetz zur Unterstützung und Entlastung in der Pflege enthaltenen Regelungen zur Leiharbeit in der Langzeitpflege sowie die in § 6a Abs. 2 Krankenhausentgeltgesetz geregelte Beschränkung der Berücksichtigung der Leiharbeitskosten für Pflegekräfte im Pflegebudget. Diese Regelungen seien unzureichend. Es bestehe ein erheblicher gesetzlicher Überarbeitungsbedarf, um die Fehlentwicklungen effektiv zu bekämpfen.
Der Bundesrat beschränkt sich aber nicht auf die Aufforderung an die Bundesregierung, aktiv zu werden. Auch den Arbeitgebern komme eine wichtige Rolle zu: Diese könnten und müssten durch eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen zugunsten des Stammpersonals in den eigenen pflegerischen Arbeitseinheiten dem notwendigen Einsatz von Leiharbeitskräften in der Pflege gleichermaßen entgegenwirken. Beispielhaft genannt werden Maßnahmen der Entgeltverbesserungen sowie die Umstellung und Anpassung von Dienstplänen und Arbeitszeiten. Auch die bessere Ausbildung der Führungskräfte wird häufig genannt.
Konkrete Verbesserungsvorschläge zur Reduzierung der Leiharbeit in der Pflege
Zur Zielerreichung präsentiert der Bundesrat zehn konkrete Verbesserungsvorschläge. Gefordert wird im Grunde eine Prüfung folgender Aspekte:
- Gleichbehandlung von Stammpersonal und Leiharbeitskräften durch Schaffung einer gesetzlichen Regelung, die auch Verstöße sanktioniert;
- Deckelung des Anteils von zulässig einsetzbaren Leiharbeitskräften (bzw. eine Mindestquote von dauerhaft Beschäftigten) innerhalb einer Einrichtung;
- Deckelung von bisher zu hoch angesetzten Verrechnungssätzen der Leiharbeitsunternehmen;
- Berücksichtigung der besonderen Situation der Pflege im Rahmen der Entscheidung über die Erteilung einer Verleiherlaubnis;
- Etablierung eines Förderprogramms, welches die Etablierung von Springerpools, Ausfallkonzepten und einer verbindlichen Dienstplangestaltung unterstützt;
- Verpflichtung zur regelmäßigen Fortbildung von Mitarbeitern von Zeitarbeitsfirmen;
- Sicherstellung, dass entstehende Mehrkosten für Springerkonzepte nicht von den Pflegebedürftigen getragen werden;
- Aufforderung, insb. kleine Pflegeeinrichtungen zu unterstützen durch Umsetzung von übergreifenden Springerkonzepten;
- Schaffung einer Regelung für Krankenhäuser, mit der die Vergütungen von Pflegekräften in Springerpools, bspw. über das Pflegebudget, gesichert refinanziert werden, wenn diese über tarifvertraglich vereinbarte Vergütungen hinausgeht;
- Einbezug von Leiharbeitsfirmen in die Finanzierung der Pflegeausbildung.
Durch diese Maßnahmen sollen die rechtlichen Rahmenbedingungen derart angepasst und limitiert werden, dass ein Zurückgreifen auf Leiharbeitspersonal in der Pflege nur noch in Ausnahmesituationen notwendig wird. Im Wesentlichen zurückgegriffen werden soll dafür auf die Etablierung von sog. Springerpools oder vergleichbaren betrieblichen Ausfallkonzepten. Diese Modelle sollen die kontinuierliche und planbare Vertretung ausgefallener (Stamm-) Arbeitskräfte durch andere im betriebseigenen Vertretungspool organisierter Pflegekräfte zum Regelfall werden lassen. Ein Notstand, der den Rückgriff auf Leiharbeitnehmer erforderlich macht, soll schon strukturell vermieden werden. Wie allerdings dieser Springerpool konkret – auch rechtlich – ausgestaltet werden soll, bleibt offen. Denkbar wären hier Ansätze, die einen einrichtungs- (und damit arbeitgeber-) übergreifenden Einsatz zulassen.
Während also zum einen der rechtliche Rahmen so gesteckt werden soll, dass Leiharbeitnehmer kaum mehr Beschäftigung in Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern aufnehmen können, sollen im gleichen Zuge auch die Leiharbeitsfirmen in die finanziellen und organisatorischen Belastungen einbezogen werden.
Interessenvertreter der Leiharbeitsbranche bewerten diese Vorschläge daher sehr kritisch. Einerseits wird kritisiert, dass dem Entschließungsantrag des Bundesrates keine belastbaren Aussagen zu entnehmen seien, die die geforderten Restriktionen rechtfertigen würden. Andererseits sei keiner der Vorschläge geeignet, die akuten Probleme der Pflegebranche zu lösen. Vielmehr werde die bereits heute sehr angespannte Personallage durch Restriktionen der Leiharbeit weiter verschärft. Schon jetzt könne in vielen Einrichtungen die Versorgung nur durch eine Zusammenarbeit von Leiharbeitnehmern und Stammpersonal gewährleistet werden.
Bundesregierung nicht an Vorschläge gebunden
Der Appell an die Bundesregierung ist hinsichtlich des Wunsches nach Eindämmung der Pflegeleiharbeit zwar eindeutig, zugleich aber nicht bindend. Zudem lässt der Vorschlag hinsichtlich des weiteren Verfahrens und der Ausgestaltung viele Spielräume. Die Entschließung enthält auch keine Fristvorgaben, die ein Handeln der Bundesregierung oder jedenfalls eine Stellungnahme in kürzerer Zeit erwarten ließen. Ob eine Umsetzung der Prüfaufträge der Entschließung noch in der aktuellen Legislaturperiode (bis Herbst 2025) erfolgen wird, erscheint zum heutigen Zeitpunkt fraglich.
Die Entschließung ist eine politische Erweiterung des in Art. 78 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich verbürgten Initiativrechts des Bundesrates. Es besteht keine Umsetzungspflicht – allerdings bietet die Aufforderung durch den Bundesrat die Möglichkeit, eindringlich auf Probleme aufmerksam zu machen und den eigenen Standpunkt darzulegen. Dass infolgedessen ein Gesetzgebungsverfahren angestoßen wird, ist deshalb nicht unüblich.
Die Vorschläge des Bundesrates stimmen mit den Forderungen der Branchenvertreter – jedenfalls einiger – überein. So könnte Rufen nach einer nachhaltigen Verbesserung von Arbeitsbedingungen in der Pflege (z.B. des Deutschen Pflegerates, der Deutschen Krankenhausgesellschaft) Nachdruck verliehen werden. Dabei darf allerdings nicht außer Acht gelassen werden, dass die Leiharbeit in der Pflegebranche – jedenfalls aktuell – zur Sicherung der Versorgungsinfrastruktur noch unentbehrlich ist.
* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.
Counsel
Rechtsanwalt
Lennard Lürwer hat langjährige Erfahrung in der arbeitsrechtlichen Beratung von nationalen und internationalen Transaktionen – seien es Share- oder Asset Deals, der Ausgliederung von Geschäftsbereichen, dem Erwerb aus der Insolvenz u.a. Dabei berät er rechtlich wie auch strategisch bei der Vorbereitung und Durchführung des Kauf- bzw. Verkaufsprozesses (z.B. bei der Durchführung der Due Diligence, Kaufvertragsgestaltung und Lösungsfindung zu arbeitsrechtlichen Herausforderungen). Gleichermaßen begleitet er die Post-Merger-Integration.