Es braucht ein erweitertes Verständnis von Arbeit
Wir haben mit Dr. Kathrin Neumüller über die (neuen) Anforderungen von New Work und Empowerment an Mitarbeitende gesprochen und welches Umdenken in der Arbeitswelt notwendig ist.
In unserem großen Jahresend-Interview erläutert Dr. Kathrin Neumüller, Expertin für Mitarbeiterbefragungen und 360-Grad-Feedback und Co-Geschäftsführerin beim Schweizer Marktforschungsinstitut ValueQuest, weshalb wir ein Umdenken in der Arbeitswelt benötigen, wie man Mitarbeitende langfristig an das Unternehmen binden und eine gesundheitsfördernde Kultur etablieren kann.
HRP: Frau Dr. Neumüller, Sie plädieren für ein Umdenken in der Arbeitswelt, um Wirtschaftswachstum und Nachhaltigkeit besser zu vereinen. Was ist aus Ihrer Sicht notwendig?
Dr. Kathrin Neumüller: In unserer westlichen Kultur definieren sich viele Menschen stark über ihre Arbeit. Unsere Arbeit und unser Beruf formen unsere Identität und tragen zu unserem Selbstbewusstsein bei. Es besteht also eine gewisse Abhängigkeit von unserem Beruf. Es ist schwer, sich dem zu entziehen. Doch mittlerweile gibt es ein Umdenken, das von der COVID-Pandemie verstärkt wurde. Der Begriff New Work greift genau diesen Paradigmenwechsel auf und stellt die Frage: Wofür arbeiten wir wirklich?
Der Sozialphilosoph Frithjof Bergmann, der den Begriff „New Work“ in den 1980er-Jahren prägte, hatte eine klare Vision: Arbeit soll den Menschen dienen und nicht umgekehrt. Bergmann betont, dass Menschen Tätigkeiten verrichten sollen, die sie „wirklich, wirklich wollen“. Arbeit soll also nicht nur eine Quelle des Einkommens sein, sondern vielmehr auch ein Weg zur Selbstverwirklichung und zum gesellschaftlichen Beitrag. Bergmanns Ansatz fordert eine radikale Neudefinition von Arbeit, bei der der Mensch und seine Bedürfnisse im Mittelpunkt stehen.
HRP: Wie können wir uns dieses erweiterte Verständnis von Arbeit vorstellen?
Neumüller: Das schwäbische Wort „Schaffen“ bietet hier eine neue Perspektive. Es geht über unser herkömmliches Verständnis von Arbeit hinaus. „Schaffen“ bedeutet nicht nur Arbeiten im Sinne von einer Tätigkeit gegen Lohn, sondern auch Erschaffen und kreatives Gestalten, das eine Bedeutung für die Gesellschaft haben kann, ohne an eine monetäre Entlohnung gebunden zu sein. Dieses Verständnis kann uns helfen, Arbeit neu zu definieren – weg von einer reinen Einkommensquelle oder Pflicht, hin zu einer Tätigkeit, die Sinn stiftet, zur persönlichen Entwicklung beiträgt und einen positiven Beitrag zur Gesellschaft und Umwelt leistet.
HRP: Stichwort Empowerment – was bedeutet dies im Kontext von New Work?
Neumüller: Empowerment ist weit komplexer, als die meisten denken, denn es bedeutet mehr als Autonomie bei der Entscheidungsfindung, sondern auch den Zugang zu wichtigen Informationen, die Bereitstellung von Ressourcen und Schulungen sowie die Anerkennung und Belohnung ihrer Leistungen. Auf der einen Seite gibt es die Sichtweise der Unternehmen und auf der anderen Seite die Sichtweise der Mitarbeitenden. Nur weil Unternehmen New-Work-Maßnahmen umsetzen, heißt das noch lange nicht, dass das bei den Mitarbeitenden positiv ankommt. Wir müssen bei der Umsetzung von New-Work-Maßnahmen und Empowerment auch die Sicht der Mitarbeitenden berücksichtigen.
HRP: Wir reden oft davon, wie Unternehmen New Work umsetzen können. Doch stellen New Work und damit Empowerment nicht auch neue Anforderungen an Mitarbeitende?
Neumüller: Ja, in der Tat. New Work und Empowerment stellen nicht nur Anforderungen an die Arbeitgeber, sondern auch an die Mitarbeitenden. Aufgaben kommen nicht mehr auf einem Serviertablett mundgerecht geschnitten daher. Es wird nun erwartet, dass die Mitarbeitenden eine aktive Rolle in ihrem Arbeitsumfeld übernehmen und sich von einer konsumistischen Arbeitseinstellung verabschieden. Mitarbeitende sollten sich proaktiv einbringen, nach Möglichkeiten suchen, ihre Fähigkeiten weiterzuentwickeln, und aktiv an der Gestaltung ihrer Arbeitsumgebung mitwirken.
Eine partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden ist entscheidend, um das volle Potenzial von New Work und Empowerment auszuschöpfen.
Doch damit Mitarbeitende ihre Arbeit gestalten können, ist es wichtig, dass das Unternehmen eine langfristige Vision definiert hat. Das Management muss wissen, wohin es will und dies eindeutig kommunizieren. Es braucht also eine eindeutige Vision, Mission und Werte, mit denen sich Mitarbeitende identifizieren können und die sie als inspirierend und erstrebenswert erachten.
Lesen Sie den vollständigen Beitrag aus dem Special „Best of 2024/2025“ (HR Performance 4/2024).