Azubi-Ghosting : Doppelperspektivische Studie zur dualen Ausbildung
„Das beste Azubimarketing und die tollste Social-Media-Kampagne nützen nichts, wenn Betriebe Bewerber entweder im Bewerbungsprozess verlieren oder auf Grund alter Glaubenssätze fragwürdige Kriterien bei der Einstellung heranziehen und so falsche Entscheidungen treffen,” sagt die Studieninitiatorin und Eignungsdiagnostikerin Felicia Ullrich von u-form Testsysteme.
Nach der Zusage im Bewerbungsverfahren brechen 15% der Azubi-Bewerbenden den Kontakt zum Betrieb wieder ab. Auch im laufenden Jahr 2024 bleibt der Ausbildungsmarkt kandidatenorientiert. Zu diesen und weiteren Ergebnissen kommt die Studie „Azubi-Recruiting Trends 2024“.
An der von dem Ausbildungsspezialisten u-form Testsysteme durchgeführten Online-Umfrage zum Azubi-Marketing und -Recruiting haben in diesem Jahr 4.941 Schüler*innen und Azubis sowie 1.752 Ausbildungsverantwortliche teilgenommen. 12% der befragten Jugendlichen haben schon einmal vor dem Abschluss des Ausbildungsvertrags ein Ausbildungsunternehmen geghostet, 3% danach. Von den Ausbildungsbetrieben haben 60% schon einmal ein solches Azubi-Ghosting erlebt.
Übernahme? Nein Danke!
Trotz Kriegen und Krisen bleibt der Ausbildungsmarkt aktuell kandidatenorientiert: 51% der Azubi-Bewerbenden können sich den Ausbildungsplatz aus mehreren Angeboten aussuchen. Die Zahl ist im Vergleich zum Vorjahr (52%) nur leicht gesunken. Einen weiteren Hinweis auf kandidatenorientierte Arbeitsmärkte, in denen sich die Fachkräfte von morgen ihre beruflichen Optionen aussuchen können, bietet eine weitere Zahl: Nur 45% der Azubis möchten „auf jeden Fall“ nach der Ausbildung in ihrem Betrieb weiterarbeiten. Zu den Recruitingherausforderungen kommen also solche der Bindung.
Idee einer „Grundlagenausbildung“ breit akzeptiert
Nach wie vor ist die berufliche Desorientierung bei den Azubi-Bewerbenden groß. Tatsächlich wussten nur 32 % der befragten Auszubildenden nach ihrem letzten Schulabschluss, welche Ausbildung sie machen möchten. 87% der befragten Schüler*innen und Auszubildenden gefällt deshalb die Idee einer „Grundlagenausbildung“. Bei dieser würden Azubis mit einem halben Orientierungsjahr beginnen, verschiedene Bereiche durchlaufen und sich dann für einen konkreten Ausbildungsberuf entscheiden.
„Überverkauf“ in der Bewerbungsphase?
Eine große Rolle im Wettbewerb um die Azubis spielt das Image als Ausbildungsbetrieb: Die Ausbildungsverantwortlichen selbst zweifeln jedoch an der Strahlkraft des eigenen Angebots. Nur 34% stimmen der Aussage uneingeschränkt zu, ihr Angebot genieße bei Bewerbenden einen „sehr guten Ruf“. Kommt es deshalb häufig zum „Überverkauf“ von Beruf und Ausbildungsbetrieb in der Bewerbungsphase durch die Betriebe? Nur 39% der Azubi-Bewerbenden können jedenfalls das positive Bild vom Ausbildungsbetrieb später als Azubis uneingeschränkt bestätigen.
Fehlende Passung bei den Kanälen
Der wichtigste Kanal für die Suche nach einem Ausbildungsplatz ist für Bewerbende die Suchmaschine Google (83% „sehr häufige“ oder „häufige“ Nutzung). Direkt mit Anzeigen bespielt wird er nur von einer Minderheit der Betriebe (19% „sehr häufig“ oder „häufig“). Bei Social Media liegt der Nutzungsanteil bei Jugendlichen für die Ausbildungsplatzsuche dagegen bei 27%. Und das obwohl 67 % der befragten Jugendlichen angeben, dass sie zu viel Zeit in sozialen Medien verbringen.
Social Media differenziert betrachtet
80 % der Befragten empfehlen Ausbildungsunternehmen dennoch, soziale Medien zur Ansprache von Bewerbenden zu nutzen. Als Kanäle empfehlen sie vor allem Instagram (87 %) und TikTok (68 %). Wie erklärt sich der Widerspruch zwischen der geringen Relevanz für die Ausbildungsplatzsuche und dieser Empfehlung an Ausbildungsbetriebe? Azubi-Bewerbende suchen zwar auf Social Media nicht aktiv nach Ausbildungsangeboten, aber wünschen sich dort durchaus Informationen zum Ausbildungsalltag (78 %), zu Berufsbildern (77 %) und zu den Ausbildungsbetrieben (65 %). Die Empfehlung lautet also: Azubimarketing auf Social Media ja, Azubirecruiting nein.
Prozesshürden bremsen aus
Im Azubimarketing gibt es also einiges zu tun. Optimierungsbedarf ist aber ebenso bei den Prozessen und Einstellungsverfahren festzustellen. Azubi-Bewerbende mögen’s leicht: 51% von ihnen würden sich eher bewerben, wenn das Bewerbungsverfahren schnell und einfach ist. Auf der anderen Seite hält ein Großteil der Betriebe an aufwändigen, aber eignungsdiagnostisch fragwürdigen Bestandteilen der Bewerbung fest. 62% der befragten Ausbildungsverantwortlichen finden ein Anschreiben „sehr wichtig” oder „wichtig” für eine Azubi-Bewerbung, nur 5% verzichten darauf, solche Begleitschreiben einzufordern.
„Das beste Azubimarketing und die tollste Social-Media-Kampagne nützen nichts, wenn Betriebe Bewerber entweder im Bewerbungsprozess verlieren oder auf Grund alter Glaubenssätze fragwürdige Kriterien bei der Einstellung heranziehen und so falsche Entscheidungen treffen,” sagt die Studieninitiatorin und Eignungsdiagnostikerin Felicia Ullrich von u-form Testsysteme.
Zweiter Teil der Studie im August 2024
Schon seit über zehn Jahren befragt der Solinger Ausbildungsspezialist u-form regelmäßig Azubis, Schüler*innen und Ausbildungsverantwortliche für die Azubi-Recruiting Trends. Die Untersuchung stellt die größte mehrperspektivische Studie zur dualen Ausbildung in Deutschland dar. Auch in diesem Jahr begleitet der ausgewiesene Recruitingexperte Prof. Dr. Christoph Beck (Hochschule Koblenz) die Studie wissenschaftlich, Studienpartner ist AUBI-plus. Wie schon 2023 erscheint die Studie in diesem Jahr aufgrund ihres großen Umfangs in zwei Teilen. Materialien zu den Ergebnissen des ersten Teils sind ab sofort auf der Azubi-Recruiting Trends-Studienseite verfügbar. Der zweite Teil erscheint dort im August: testsysteme.de/studie
Quelle: u-form