Wie wir miteinander umgehen
An was denken Sie, wenn Sie Documenta 15 hören? An Lumbung? Vielleicht haben Sie das Kunst- und Kulturevent, das alle fünf Jahre in Kassel stattfindet, schon selbst besucht.
An was denken Sie, wenn Sie Documenta 15 hören? An Lumbung? Vielleicht haben Sie das Kunst- und Kulturevent, das alle fünf Jahre in Kassel stattfindet, schon selbst besucht. Was ist Ihnen dort aufgefallen, Antisemitismus? Bis zum 25. September können Sie sich noch selbst ein Bild von der „Weltkunstschau“ vor Ort machen. Für alle, die noch nicht da waren, hier ein paar Anmerkungen im Zeitraffer. Die Gremien der Documenta haben dem indonesischen Künstler/Innen-Kollektiv Ruangrupa 2019 die Leitung der Documenta 15 übertragen. Das Team aus Jakarta hat unter anderem 14 Künstler/Innen-Kollektive aus ehemaligen Kolonialländern eingeladen, unter dem Leitgedanken von Lumbung ihre Botschaft, ihre Gedanken und Werke zu präsentieren.
Lumbung steht für Kollektivität, gemeinschaftlichen Ressourcenaufbau und gerechte Verteilung
Das Wort Lumbung steht im Indonesischen für Reisscheune, die man dort überall in den Dörfern findet. Lumbung bedeutet auch Freundschaft, gut zusammenarbeiten, Sachen miteinander teilen und sich gut um alle Menschen in einer Gruppe kümmern. In die Reisscheune bringt die Landbevölkerung ihren überschüssigen Reis für die Notfälle. Das Lumbung wird gemeinsam gepflegt und steht allen zur Verfügung, die, aus welchen Gründen auch immer, in Not geraten.
Das Team aus Jakarta thematisiert mit diesem Motto die ökonomische Unwucht, die auf unserem Globus herrscht. Die Menschheit muss neue Wege gehen, wenn sie in Zukunft überleben will. Die Ressourcen dieser Erde sind ein gemeinsames Gut, das gerecht verteilt und nachhaltig genutzt werden sollte. Diese Botschaft zieht sich wie ein roter Faden mehr oder weniger durch alle Präsentationen. Angesichts des Klimawandels und der ökonomischen Krisen müssen wir über neue Wege und Lösungen nachdenken. Es wäre fatal, zu glauben, die Lösungen kämen nur aus dem industrialisierten Norden. Nur gemeinsam mit den Menschen der südlichen Halbkugel kann es gelingen, die Herausforderungen zu meistern.
Die massiven, berechtigten Antisemitismusvorwürfe haben von Beginn an das Generalthema Lumbung von der Documenta-Bildfläche verdrängt. Politiker, Intellektuelle und die Medien haben im wahrsten Sinne des Wortes gemeinsam und unaufhörlich auf die Veranstalter und Organisatoren eingeprügelt. Der Aufschrei über den antisemitischen Ausschnitt aus dem Bild „people’s justice“ von Taring Padi, das bereits vor 20 Jahren entstanden ist und schon in Japan und Australien ausgestellt wurde, war groß. Ohne tiefergehende Diskussionen wurde das gesamte, riesige Bild – des Ausschnitts wegen – entfernt. In den öffentlichen Vorwürfen ging es nur noch um die Frage, wer hat es erlaubt oder zugelassen, dass dieses Bild aufgehängt wurde. Die Fragen nach den Gründen dieser Darstellungen wurden ausgeblendet. Für das Kollektiv aus Jakarta begann ein Spießrutenlauf, der bis heute anhält. Wo sind eigentlich die Historiker, die Antworten hätten liefern können? Die Künstlergruppe Taring Padi hat auf diesem und vielen anderen Bildern, die in Kassel ausgestellt sind, die jüngste Geschichte Indonesiens und die daraus resultierenden Probleme thematisiert und dokumentiert.
Mit der Unterstützung westlicher Geheimdienste (CIA, Mossad, BND usw.) kam es 1965 in Indonesien zu einem Militärputsch und Umsturz unter Führung von General Suharto. In den folgenden Jahren wurden bis zu einer Million Menschen in Indonesien ermordet und vertrieben. 31 Jahre lang (1967 – 1998) haben die Familie Suharto und die Militärs das Land mit eiserner Hand und der Rückendeckung des Westens ausgebeutet und regiert. Bis heute sind die Massaker und Morde des Suhartoregimes auch in Indonesien tabu und unaufgeklärt. Das gilt auch für die Rolle des Westens und des Mossad. Die Gruppe Taring Padi zieht bewusst und provokant den Schleier des Vergessens weg.
Lumbung heißt auch, dass Positionen nicht verbannt werden, die unethisch oder toxisch sind
In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung (13./14./15. August, S. 15) sagt Reza Afisina aus der Gruppe Ruangrupa: „Was passiert ist, ist Teil eines Lernprozesses. Das ist normal, wenn Menschen so unterschiedlicher Herkunft aufeinandertreffen. Sogar innerhalb von Ruangrupa gibt es enorme kulturelle Differenzen. Ich habe mich bei unseren Freundinnen und Freunden in Kassel entschuldigt. Und wir möchten gerne ihre Gedanken und Meinungen hören. Genauso machen wir es in Jakarta, wenn sich jemand durch uns verletzt fühlt. Wir respektieren deren Positionen. Wir bitten um Vergebung. So beginnen intensive Gespräche, so lernt man voneinander….
Was es aber auch so schwer macht, ist, dass die Kritik und die Vorwürfe nie aufhören. Eine befriedigende Antwort scheint es hier nicht zu geben. Selbst wenn man dem anderen schon recht gegeben hat, gibt er keine Ruhe. Wir fühlen uns oft in die Enge getrieben. Zu Hause in Indonesien ist es normal, unterschiedlicher Ansicht zu sein, to agree to disagree. So kann man sich auch am nächsten Tag noch unterhalten. … Was dieses Mal passiert, beeinflusst die nächste Ausstellung, genau wie diese ein Ergebnis früherer Dokumenta-Ausgaben ist.“
Wir alle machen Fehler und sind Teil einer Fehlerkultur. So wachsen die Kinder in die Welt. Je schneller wir aus den Fehlern lernen, umso besser ist es. Das Internet fördert eine Bashing-Kultur, die wir in den Print- und Bewegtmedien weniger emotional aber mit sachlicherer Härte erleben. Wollen wir selbst so behandelt werden? Wünschen wir uns selbst nicht auch eine Lumbung-Kultur in Unternehmen?
Mit den besten Wünschen
Franz Langecker