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„Weselsky und COVID haben die Dämme gebrochen“

Das gewaltsame Festhalten an alten Strukturen gelingt nicht mehr. Weselsky und COVID haben die Dämme gebrochen. Die Vorstellungen und Erwartungen der Mitarbeiter wandeln sich. Wie schwer sich dabei alle tun, musste ja schon Frithjof Bergmann in den 80er-Jahren in Flint feststellen. Weder die Unternehmen noch die Beschäftigten konnten mit seiner Vorstellung von New Work wirklich etwas anfangen.

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Streik
Foto: ©AdobeStock/Halfpoint

Wer die Geschichte des Personalmanagements Revue passieren lässt, kann nicht übersehen, dass die Fokussierung auf jeden einzelnen Beschäftigten immer stärker wird. Schon der sprichwörtliche Erfinder des Managements und Menschenfreund Peter Drucker stellte den Menschen bereits in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts in den Mittelpunkt seiner „Lehre“. In den Jahrzehnten danach dominierte jedoch die Automatisierung die Arbeitswelt. Der Taylorismus wurde zur vorherrschenden Lehre. Das von den Gewerkschaften 1974 initiierte Programm „Humanisierung der Arbeitswelt“ (HdA) versuchte dieser Entwicklung gegenzusteuern. Die Folgen der Ölkrise in den siebziger Jahren brachte die Wirtschaftsmaschinerie jedoch zum „Stottern“.

Der Automobilabsatz brach ein und es schlug die Stunde des Philosophen Frithjof Bergmann. Er schuf den Begriff „New Work“. Die Entlassungswellen in der Automobilindustrie waren massiv, vor allem in der Autostadt Flint in den USA mussten die Fabriken von General Motors schließen. Da Frithjof sich bereits damals mit „Neuer Arbeit“ beschäftigt hatte, bat man ihn um Lösungen. Statt die Hälfte der Mitarbeiter zu entlassen, die andere Hälfte sich überarbeiten zu lassen und die halbe Stadt in die Arbeitslosigkeit zu führen, schlug er vor, dass alle nur noch 6 Monate im Jahr arbeiten sollten. Dann hätten alle genug Zeit, herauszufinden, (als) was sie wirklich arbeiten wollen. Dazu sagte er einmal in einem Interview mit dem Magazin t3n im Mai 2021: „New Work ist eine andere Art, Arbeit zu organisieren. Die Absicht ist, Arbeit so zu organisieren, dass sie nichts Gezwungenes ist, sondern man Arbeit tut, die man wirklich, wirklich will. Das ist, was ich seit vielen Jahren predige.“ Es lohnt sich, die gegenwärtigen Entwicklungen an der Vision von Bergmanns „New Work“ zu messen. Ich glaube, wir sind auf dem Weg dorthin, auch wenn wir noch weit davon entfernt sind.

Die Bedeutung des einzelnen Menschen in den Unternehmen hat in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen. Die Digitalisierung hat dabei geholfen, die Individualisierung zu managen. Beispielhaft zu nennen sind dabei die Flexibilisierung der Arbeitszeit und der Entgeltabrechnung. Immer mehr Services und Dienstleistungen können auf den einzelnen Mitarbeiter zugeschnitten werden.

„Ich erwarte, dass mein Chef sich bei mir bedankt“

So lautete eine Headline am 1. September 2023 in der SZ. Dabei ging es um die Frage, wie die Generation Z wirklich tickt. Die jungen Menschen stehen am Anfang ihres Arbeitslebens und steigen in eine Arbeitswelt ein, die von Gestern kommt. Insider spüren, dass viele Strukturen dieser Arbeitswelt zu bröckeln beginnen. Die traditionellen Karrierepfade verlieren an Bedeutung. Menschen steigen aus, weil z. B. persönliche Dinge wichtiger geworden sind. Plötzlich werden gewohnte Strukturen in Unternehmen zu Barrieren. KI zwingt uns, vor allem Tätigkeiten im Bereich von Text und Daten zu redesignen. Sie hat Konsequenzen für die Team- und Führungsarbeit. Sie verändert die Rollen, das Workforce Management und die Workflows.

Bei der Gewinnung neuer Talente müssen sich die Recruiter von der Vorstellung trennen, Mitarbeiter mit den gewünschten Abschlüssen zu finden. Diese Selbsteinschränkung ist nicht mehr zu halten. Sie werden den Fokus auf die Skills legen, um wieder breiter rekrutieren zu können. Aber wie kann das funktionieren, in einer Welt voller Fakes? Da führt kein Weg mehr an der KI-Unterstützung vorbei. Viele Großkonzerne verabschieden sich gerade von Abschlüssen und Zertifikaten. Das gilt sowohl für die internen wie auch externen Mitarbeiter.

Auch die Anforderungen an das Health Management wachsen. Die Auswertungen der Krankenkassen zeigen, dass im letzten Jahr ein Mitarbeiter durchschnittlich 19 Tage krank war. Wenn diese Zahlen stimmen, dann kommt viel Arbeit auf das Management zu. Mitarbeiter fühlen sich krank, unwohl oder überfordert. Das Klima in unserer Gesellschaft war schon mal besser. Möglicherweise gilt das auch für die Unternehmen. Das alles belastet unausgesprochen die Betriebe. Klima- und Streikfragen, Politik- und Generationenkonflikte, Teamplayer vs. Individualisten u. a. m. Auch wenn viele Dinge nicht offen ausgesprochen werden, leiden die Menschen darunter.

„Es muss anders werden, wenn es gut werden soll.“

Während die einen auf die Reparatur einzelner Defizite setzen, erwarten andere von der 4-Tage-Woche den Sprung nach vorn. Die Zukunft wird zeigen, ob Claus Weselsky mit seiner harten Forderung nach einer 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich richtig lag. Eine Studie der Gartner Unternehmensberatung in den USA von 2023 zeigt, dass 63 Prozent der befragten Beschäftigten auf eine 4-Tage-Woche bei gleicher Bezahlung setzen. Wer Talente gewinnen und halten will, muss dafür Antworten finden, wenn er wettbewerbsfähig bleiben will. Das bedeutet auch, sich von gewohnten Strukturen zu verabschieden, um mit weniger Arbeitszeit die gleiche Wertschöpfung zu schaffen.

Das gewaltsame Festhalten an alten Strukturen gelingt nicht mehr. Weselsky und COVID haben die Dämme gebrochen. Die Vorstellungen und Erwartungen der Mitarbeiter wandeln sich. Wie schwer sich dabei alle tun, musste ja schon Frithjof Bergmann in den 80er-Jahren in Flint feststellen. Weder die Unternehmen noch die Beschäftigten konnten mit seiner Vorstellung von New Work wirklich etwas anfangen.

„Ich kann freilich nicht sagen, ob es besser werden wird, wenn es anders wird; aber so viel kann ich sagen: Es muss anders werden, wenn es gut werden soll.“ Das Zitat stammt von dem Naturwissenschaftler und Schriftsteller Georg Christoph Lichtenberg. Da der Wandel und der wirtschaftliche Erfolg nur mit den Menschen gelingen können, führt auch zukünftig kein Weg am Ausbau der Mitarbeiterzentrierung vorbei.

Franz Langecker

Franz Langecker

Chefredakteur HR Performance

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