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„Das Qualifizierungsgeld bietet eine wesentliche Unterstützung für Unternehmen.“ : Interview mit Thorsten Rusch, Director Solution Consulting — DACH, Nordics & Eastern Europe, Cornerstone OnDemand

Organisationen müssen innerbetriebliches Lernen neu überdenken sowie physisches und virtuelles Training durch realitätsnahe physische, emotionale und Verhaltenssimulationen verbinden, um Stellen angemessen besetzen und operationale Kompetenz sowie Wettbewerbsfähigkeit sicherzustellen zu können.

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Mann mit VR-Brille
Foto: ©AdobeStock/Pajaros Volando

HR Performance: Wie sieht die Weiterbildung der Mitarbeitenden der Zukunft aus und wie sollten die Unternehmen diese nun mitgestalten?

Thorsten Rusch: Neue Technologien und KI treiben bedeutende Veränderungen für die Fähigkeiten voran, die für nahezu jeden Beruf erforderlich sind. Dadurch herrscht aktuell jedoch eine Diskrepanz zwischen den Fähigkeiten und Qualifikationen, die Arbeitgeber*innen benötigen, und den Fähigkeiten, die Arbeitnehmer*innen tatsächlich besitzen – , die gerade den in Deutschland herrschenden Wettstreit um die Fachkräfte noch verschärft und über die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen entscheiden kann.

Organisationen müssen innerbetriebliches Lernen daher neu überdenken sowie physisches und virtuelles Training durch realitätsnahe physische, emotionale und Verhaltenssimulationen verbinden, um Stellen angemessen besetzen und operationale Kompetenz sowie Wettbewerbsfähigkeit sicherzustellen zu können.

Hier kommt immersives Lernen ins Spiel: Es bindet Lernende auf eine Weise ein, die das Lernen nicht nur unterhaltsam macht, sondern es exponentiell effektiver macht. So kann etwa ein Medizinstudent*in durch virtuelle Darstellungen von Patient*innen und medizinischen Geräten in einer risikofreien Umgebung chirurgische Eingriffe üben, während Konversationssimulationen es Mitarbeiter*innen ermöglichen, diese Interaktionen an einem sicheren Ort zu üben, um die Ergebnisse in der realen Welt drastisch zu verbessern. Neben den genannten Beispielen können generative KI-Modelle darauf trainiert werden, Gespräche zur Karriereplanung zu erleichtern, erforderliche Fähigkeiten zu identifizieren oder Schulungen und Wachstumschancen anzupassen, die auf die Strategie und Kultur der Organisation zugeschnitten sind.

Innovative Technologie ermöglicht aber nicht nur immersive und personalisierte, sondern auch flexible Lernerfahrungen, beispielsweise auch über Tablets oder Lernapps. Gerade durch unterschiedliche Arbeitsrealitäten wird es immer wichtiger, Lernangebote anzubieten, die es den Mitarbeiter*innen ermöglichen, unabhängig von ihrem Standort und Zeitplan zu lernen – und das ein Leben lang. Denn in einer sich ständig verändernden Arbeitswelt ist lebenslanges Lernen unerlässlich, um wettbewerbsfähig bleiben zu können. Unternehmen sollten daher eine Kultur fördern, die Mitarbeiter*innen dazu ermutigt, sich kontinuierlich weiterzuentwickeln und neue Fähigkeiten zu erlernen.

Insgesamt erfordert die Gestaltung der Zukunft der Mitarbeiterweiterbildung von Unternehmen eine flexible und proaktive Herangehensweise. Indem sie in innovative Technologien investieren, eine Lernkultur fördern und die individuellen Bedürfnisse ihrer Mitarbeitenden berücksichtigen, können Unternehmen sicherstellen, dass ihre Mitarbeitenden die Fähigkeiten und Kenntnisse entwickeln, die sie benötigen, um in der sich wandelnden Arbeitswelt erfolgreich zu sein. 

 

HRP: Welche Rolle spielt dabei jetzt und in Zukunft räumliches Lernen mit XR?

Rusch: Räumliche Lernerfahrungen mit XR (Extended Reality), wie Virtual Reality (VR) und Augmented Reality (AR), werden eine entscheidende Rolle dabei spielen, Mitarbeiter*innen auf die Anforderungen der Arbeitswelt vorzubereiten, sowohl jetzt als auch in Zukunft.

Durch die Integration von räumlichem XR für Lernerfahrungen können Unternehmen ihre Mitarbeitenden für nahezu jeden Anwendungsfall engagieren und schulen. Dadurch wird es Einzelpersonen ermöglicht, die kritischen Fähigkeiten zu erlangen, die sie benötigen, um ihre Aufgaben effektiver zu erledigen.

Ein Beispiel dafür ist die Möglichkeit für Mitarbeitende, Kundenservice-Szenarien zu üben, bevor sie diese in der realen Welt erleben. Dies verleiht ihnen nicht nur die erforderliche Erfahrung, sondern auch das nötige Selbstvertrauen, um schwierige Gespräche taktvoll und sorgfältig zu führen. Ebenso können Manager*innen Leistungsgespräche aller Art führen und dabei die Richtlinien und die Kultur ihrer Organisation berücksichtigen. Im Allgemeinen sind simulierte Szenarien vorteilhaft für emotional aufgeladene Gespräche oder schwierige Situationen, die die Chance haben, Kunden- oder Markenwahrnehmungen zu beeinflussen.

Aber auch für Beispiele, bei denen praktische Erfahrungen und ein greifbarer visueller Arbeitsablauf für das Training wichtig sind, sind immersive Simulationen für die Entwicklung von Fähigkeiten kraftvoll. So kann etwa ein Techniker bei der Arbeit mit einer XR-Brille lernen, die Schritt-für-Schritt-Anweisungen zur Reparatur von Maschinen bietet – alles mit realistischen Details und Maßstäben. Auch können Menschen das Ausführen ihrer Aufgaben in gefährlichen Arbeitsumgebungen über Simulationen üben, wenn diese Übung sonst schwer oder potenziell gefährlich wäre, um realistisch zu trainieren.

Die Anwendungsfälle sind vielseitig und werden in Zukunft immer mehr an Bedeutung gewinnen, da Unternehmen weiterhin innovative Wege suchen, um ihre Mitarbeitenden effektiv zu schulen und sie auf die sich ständig verändernden Anforderungen der Arbeitswelt vorzubereiten. 

 

HRP: Seit Anfang April erhalten Mitarbeitende für Weiterbildungen Qualifizierungsgeld statt ihres Lohns. Hintergrund der Förderung sei der Strukturwandel, so die Bundesregierung. Was bedeuten die Veränderungen für das Standing von Weiterbildungen?

Rusch: Das neue Gesetz zum Qualifizierungsgeld bietet eine wesentliche Unterstützung für Unternehmen, die mit dem Fachkräftemangel und der Transformation ihrer Branchen konfrontiert sind. Viele Unternehmen erkennen, dass sie intern nicht über die notwendigen Fähigkeiten verfügen, die für den Wandel nötig sind, und auch der Arbeitsmarkt bietet diese spezialisierten Fähigkeiten oft nicht an.

Zudem denken laut einer aktuellen Studie von Gallup 45 % der Belegschaft über einen neuen Job nach, unter anderem weil die eigenen Erwartungen nicht mit der im Unternehmen vorgefundenen Realität übereinstimmen. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, attraktive Weiterbildungsmöglichkeiten zu schaffen, um Talente zu halten und zu fördern. Das Qualifizierungsgeld erleichtert es Unternehmen finanziell, umfangreiche Umschulungsprogramme zu planen und umzusetzen. Es übernimmt einen Teil des Gehalts der Arbeitnehmer*innen als Lohnersatz, was die finanzielle Last der Weiterbildungsinvestitionen von den Unternehmen nimmt. Für viele Unternehmen bedeutet dies eine erhebliche Entlastung ihres Budgets und ermöglicht eine flexiblere und zielgerichtetere Planung ihrer Weiterbildungsstrategien.

Das Gesetz trägt dazu bei, dass Weiterbildungen in der Arbeitswelt als integraler Bestandteil der beruflichen Entwicklung betrachtet werden und entscheidend sind, um in einer sich schnell verändernden Arbeitswelt bestehen zu können.

 

HRP: Sollten Weiterbildungen für Mitarbeitende verpflichtend sein?

Rusch: Ob Weiterbildungen für Mitarbeitende verpflichtend sein sollten, lässt sich nicht pauschal beantworten. Zweifellos gibt es bestimmte Compliance-relevante Weiterbildungen, die aus rechtlichen oder regulatorischen Gründen verpflichtend sein müssen. Solche Schulungen sind unerlässlich, um gesetzliche Standards zu erfüllen und das Unternehmen sowie seine Mitarbeitenden zu schützen.

Abseits dieser notwendigen Weiterbildungen erleben wir jedoch eine Demokratisierung des Lernens. Mitarbeitende erwarten heutzutage ein vielfältiges und breit gefächertes Schulungsangebot, das ihnen optional zur Verfügung steht. Sie möchten aktiv in ihre persönliche und berufliche Entwicklung investieren und schätzen die Freiheit, aus verschiedenen Angeboten wählen zu können. Diese Art von optionalen Weiterbildungen fördert die Motivation und das Engagement der Mitarbeitenden, indem sie ihnen die Kontrolle über ihren Lernprozess und ihre Karriereentwicklung gibt.

Darüber hinaus ist es für Mitarbeitende wichtig zu verstehen, welche Karrierewege im Unternehmen offenstehen und welche Fähigkeiten für bestimmte Positionen erforderlich sind. Diese Transparenz hilft nicht nur den Mitarbeitenden, ihre beruflichen Ziele zu klären, sondern gibt auch den Unternehmen Aufschluss über den tatsächlichen Schulungsbedarf.

Im Idealfall sollte der Auswahlprozess für eine Weiterbildungsmaßnahme in enger Zusammenarbeit zwischen der Führungskraft und den Mitarbeitenden stattfinden. Dies ermöglicht es, einen sinnvollen und individuell angepassten Karriereplan zu erstellen, der die persönlichen Ziele des Mitarbeitenden mit den Bedürfnissen des Unternehmens in Einklang bringt. Eine solche partnerschaftliche Herangehensweise fördert nicht nur die berufliche Entwicklung, sondern stärkt auch die Bindung und Zufriedenheit der Mitarbeitenden im Unternehmen.

HRP: Vielen Dank für das interessante Interview.

Thorsten Rusch
Foto: ©Cornerstone

Thorsten Rusch, Director Solution Consulting — DACH, Nordics & Eastern Europe, Cornerstone OnDemand

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