Lösungen finden, statt Schuldige zu suchen
Wer sich mit der Geschichte des Silicon Valley in Kalifornien beschäftigt, stellt fest, dass dessen Ursprünge im „Kalten Krieg“ in den 50er-Jahren des letzten Jahrhunderts liegen. Um die Überlegenheit gegenüber dem Kommunismus zu sichern, investierte die amerikanische Regierung viele Milliarden in die besagte Region.
Keiner von uns kann sich mehr an das Jahr ohne Sommer erinnern. Im April 1815 brach auf dem heutigen indonesischen Archipel der Vulkan Tambora aus. Die Eruption war fünfzig Mal stärker als die des Vesuvs 79 n Chr. Die Wucht der Explosion war so gewaltig, dass sie angeblich 2000 Kilometer weit zu hören war. Die Folgen für die Region waren katastrophal. Im Umkreis von 600 Kilometern blieb der Himmel fast zwei Tage vollständig verdunkelt.
Die Auswirkungen dieses Ausbruchs spüren die Menschen ein Jahr später auch im 12000 Kilometer entfernten Königreich „Württemberg“. Die Sonne verschwindet. Eine düstere Wolkendecke legt sich über das Land. Im Juli fällt auf der Schwäbischen Alb Schnee. Nach wochenlangem Regen folgen Überschwemmungen. Die Menschen sind ratlos und glauben an eine Strafe Gottes. Die Missernte 1816 löst eine Hungersnot aus. Sie trifft arm und reich. 20000 Menschen wandern nach Amerika oder Russland aus. Es fehlt das Futter für die Tiere. Reihenweise werden die Pferde geschlachtet. Als Alternative zum Reitpferd entwickelt der badische Forstbeamte Karl Drais in Mannheim die Draisine, eine so genannte Laufmaschine. Auch die spätere Eisenbahn-Draisine geht auf seine Anregungen zurück.
Silicon Valley der Landwirtschaft
Die Not macht erfinderisch. Wilhelm I. und seine Frau Katharina richten Suppenküchen und Armenspeisungen ein. Sie starten ein Sofortprogramm, um die Landwirtschaft zu revolutionieren. Auf dem Cannstatter Wasen beginnt 1818 eine eintägige Leistungs- und Informationsschau für Bauern, sie soll verhindern, dass es noch einmal zu einer Hungersnot kommt. Der König will die Bauern aufklären und zu besseren Erträgen bringen. Die Besucher haben ihr neues Wissen mit nach Haus genommen und umgesetzt. Die Landwirtschaft in Württemberg war damals auf einem niedrigeren Niveau als die der alten Römer. Das Königspaar gründete eine „Spar-Casse“ für die „ärmeren Volksklassen“, ein Mädcheninstitut, einen Wohltätigkeitsverein und eine „Unterrichts-, Versuchs- und Musteranstalt“ im Schloss Hohenheim. Aus ganz Europa wurden Ackergeräte angeschafft, ausprobiert, verglichen und weiterentwickelt. So wurde Hohenheim zum „Silicon Valley“ der Landwirtschaft.
Wer sich mit der Geschichte des Silicon Valley in Kalifornien beschäftigt, stellt fest, dass dessen Ursprünge im „Kalten Krieg“ in den 50er-Jahren des letzten Jahrhunderts liegen. Um die Überlegenheit gegenüber dem Kommunismus zu sichern, investierte die amerikanische Regierung viele Milliarden in die besagte Region. Dort entstanden das Internet, Hard- und Software und Netzwerke, die wir alle kennen. Sie haben unsere Welt verändert.
„Erfahrung ist wie eine Laterne am Rücken, sie beleuchtet nur das Stück des Weges, das wir bereits hinter uns haben“, sagte einst der chinesische Philosoph Konfuzius. Die Herausforderungen, die vor uns liegen, können wir nur bedingt mit den Lösungen von gestern bewältigen.
Aufbruchstimmung und Raum für neue Ideen schaffen
Jede Zeit hat ihre Herausforderungen und Menschen finden dafür die passenden Antworten und Lösungen. Corona, der Klimawechsel und der Ukrainekrieg verändern unsere Welt. Diese Themen schlagen durch bis in unseren Alltag – in der Arbeit und in der Freizeit. Wer sich dabei an der Schulddiskussion festfrisst, verpasst die Lösungen. König Wilhelm und seine Ehefrau Katharina (Tochter des russischen Zaren Paul und Enkelin von Katharina der Großen) haben weitblickend gehandelt. Die genannten „Einrichtungen“, die sie damals geschaffen haben, dienen noch heute den Menschen. Die Suche nach Schuldigen hätte hier niemandem geholfen.
Mit dem Begriff „Zeitenwende“ hat Olaf Scholz den passenden Begriff gefunden. Es geht aber um weit mehr als nur um die Ukraine. Jetzt geht es darum, Lösungen und Antworten weltweit zu finden. Jeder von uns kann mitwirken und seinen Teil zu einer besseren Welt beitragen. Am Montag, den 31. Juli 2023, stand auf der Titelseite der Süddeutschen Zeitung in fetten Buchstaben: „Bitte lösen: Pflegenotstand, Bahn-Chaos, mangelnde Digitalisierung:…“. Viele Medien, Politiker und Analysten haben bisher ganz gut vom Schlechtmachen anderer und der Welt gelebt.
Deutschland ist kein „kranker Mann“. Warum wollen so viele Menschen nach Deutschland kommen? Warum soll Deindustrialisierung schlecht sein? Zu Beginn des 20. Jahrhunderts lebten etwa 60 Prozent der Bevölkerung von der Landwirtschaft. Heute nur noch ein Prozent. Wir wollen nicht zurück in die alte Welt. Wir sind auf dem Weg in eine andere Welt, die wir zum Wohl aller mitgestalten sollten. Jede(r) an seinem Ort. Und das oben begonnene Zitat geht weiter: „In einer zehnteiligen Serie stellt die SZ Deutschlands Großbaustellen und mögliche Lösungen vor“. Deutschland ist ein Land von Innovatoren und Kreativen. Das sollten wir nie vergessen. „Wir schaffen das“, hat Angela Merkel gesagt. Und sie hat recht.
Franz Langecker
Chefredakteur HR Performance