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Schlechte Karten bei betriebsbedingten Kündigungen

Die Berücksichtigung des Lebensalters führte bislang regelmäßig dazu, dass (auch und gerade) rentennahe Arbeitnehmer aufgrund ihres hohen Lebensalters und der daraus abgeleiteten höheren sozialen Schutzbedürftigkeit allenfalls nachrangig zu ihren jüngeren Kollegen gekündigt werden konnten. D.h. bis jetzt war die rechtmäßige Kündigung von rentennahen Arbeitnehmern besonders schwierig. Hier setzt das Urteil des BAG an.

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Foto: ©AdobeStock/Jonas Glaubitz

Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 08.12.2022 – 6 AZR 31/22

 

Wenn betriebsbedingte Kündigungen anstehen, könnten Arbeitnehmende, die sich kurz vor dem Renteneintritt befinden,  schlechte Karten haben. Die Rentennähe kann im Rahmen der Sozialauswahl besondere Berücksichtigung finden, wie das Bundesarbeitsgericht entschied. Hintergrund ist, dass zu Lasten der betroffenen Arbeitnehmer berücksichtigt werden kann, dass diese bereits eine (vorgezogene) Rente wegen Alters abschlagsfrei beziehen können bzw. rentennah sind.

 

Worum es geht

Es geht um die Sozialauswahl im Rahmen einer betriebsbedingten Kündigung. Nach § 1 Abs. 3 KSchG kann eine betriebsbedingte Kündigung nur dann sozial gerechtfertigt sein, wenn der Arbeitgeber bei Auswahl der zu kündigenden Arbeitnehmer

  • die Dauer der Betriebszugehörigkeit,
  • das Lebensalter,
  • die Unterhaltspflichten und
  • die Schwerbehinderung

 

der einzelnen Arbeitnehmer ausreichend berücksichtigt hat (Grundsatz der Sozialauswahl). Hierfür wird zunächst pro Kriterium die jeweilige soziale Schutzbedürftigkeit der betroffenen Arbeitnehmer festgestellt. Durch die Gewichtung der Kriterien untereinander wird sodann bestimmt, welcher der betroffenen Arbeitnehmer insgesamt am wenigsten sozial schutzbedürftig – und entsprechend zu kündigen – ist. Oft erfolgt dies durch ein vorab vom Arbeitgeber bzw. von den Betriebsparteien festgelegtes Punkteschema, das sowohl die Bewertung und den Vergleich der sozialen Schutzbedürftigkeit innerhalb der einzelnen Kriterien als auch insgesamt erlaubt.

Die Berücksichtigung des Lebensalters führte bislang regelmäßig dazu, dass (auch und gerade) rentennahe Arbeitnehmer aufgrund ihres hohen Lebensalters und der daraus abgeleiteten höheren sozialen Schutzbedürftigkeit allenfalls nachrangig zu ihren jüngeren Kollegen gekündigt werden konnten. D.h. bis jetzt war die rechtmäßige Kündigung von rentennahen Arbeitnehmern besonders schwierig. Hier setzt das Urteil des BAG an.

 

Der Sachverhalt

 

Geklagt hatte eine im Januar 1957 geborene Frau, die seit 1972 bei der inzwischen insolventen Arbeitgeberin beschäftigt war und durch den beklagten Insolvenzverwalter mit Schreiben vom 27. März 2020 zum 30. Juni 2020 gekündigt wurde. Die Klägerin gehörte zu 61 von knapp 400 Beschäftigten, die auf einer Namenliste zu kündigender Arbeitnehmer standen. Der beklagte Insolvenzverwalter vertrat die Ansicht, die Frau sei in ihrer Vergleichsgruppe sozial am wenigsten schutzwürdig, da sie die Möglichkeit hätte, zeitnah im Anschluss an das beendete Arbeitsverhältnis eine Altersrente für besonders langjährig Beschäftigte zu beziehen.

 

Die Entscheidung

 

Anders als die Vorinstanzen, gab das BAG dem Insolvenzverwalter recht, auch wenn die Revision im Ergebnis erfolglos blieb.

Dennoch stellte das BAG fest, dass die Betriebsparteien die „Rentennähe“ der Klägerin bei der Sozialauswahl im Rahmen des Kriteriums des „Lebensalters“ zu Recht berücksichtigt haben. Es sei Sinn und Zweck der Sozialauswahl, unter Berücksichtigung der gesetzlichen Auswahlkriterien gegenüber demjenigen die Kündigung zu erklären, der sozial am wenigsten schutzbedürftig ist. Das Auswahlkriterium „Lebensalter“ sei in diesem Zusammenhang ambivalent. Zwar nehme die soziale Schutzbedürftigkeit zunächst mit steigendem Lebensalter zu, weil lebensältere Arbeitnehmer schlechtere Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Die Schutzbedürftigkeit falle jedoch wieder ab, wenn der Arbeitnehmer entweder spätestens innerhalb von zwei Jahren nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses über ein „Ersatzeinkommen“ in Form der Regelaltersrente oder einer abschlagsfreien Rente wegen Alters – mit Ausnahme der Altersrente für schwerbehinderte Menschen – verfügen kann oder über ein solches Ersatzeinkommen bereits bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses verfügt.

 

Was das heißt

 

Das BAG misst dem Kriterium „Lebensalter“ bei der Bestimmung der sozialen Schutzbedürftigkeit keine linear steigende Bedeutung, sondern eine relative Bedeutung je nach Lebensphase bei. Das Lebensalter ist als abstrakter Maßstab für die Vermittlungschancen eines Arbeitnehmers auf dem Arbeitsmarkt zu verstehen. Der Grundgedanke ist, dass mit steigendem Lebensalter die Vermittlungschancen des Arbeitnehmers auf dem Arbeitsmarkt typischerweise sinken, wodurch das Risiko steigt, dass der Arbeitnehmer keine neue Beschäftigung und damit kein „Ersatzeinkommen“ zum bisherigen Arbeitslohn findet. Parallel steigt auch das Risiko, dass der Arbeitnehmer über einen längeren Zeitraum Arbeitslosengeld beziehen muss und die Sozialversicherungssysteme entsprechend belastet werden.

Anders ist dies bei Arbeitnehmern mit Rentenanspruch. Da mit Bezug der Regelaltersrente dem Arbeitnehmer ein „Ersatzeinkommen“ zur Verfügung steht, dass darüber hinaus auch dem Bezug von Arbeitslosengeld entgegensteht, sind sowohl die Sozialversicherungssysteme als auch der Lebensunterhalt des Arbeitnehmers ausreichend geschützt. Diesen Gedanken weitet das BAG mit dem Urteil auf „rentennahe“ Arbeitnehmer dahingehend aus, dass diese sogar einen gewissen Zeitraum bis zum Renteneintritt zu überbrücken haben.

 

Tipp für die Praxis

 

Eine wichtige Entscheidung für Arbeitgeber in der Praxis, die bei betriebsbedingten Kündigungen „helfen“ kann. Klar definiert hat das BAG, dass die Rentennähe ab einem Zeitraum von zwei Jahren gilt. Hieran sollten sich Arbeitgeber entlang hangeln.

Die Rechtsprechung wird für Sie aufgearbeitet von Frau Dr. Felisiak von ADVANT Beiten Rechtsanwaltsgesellschaft GmbH

 

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