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Compliance-Ermittlungen: Beginn der 2-Wochen-Frist beachten

Das BAG schafft Klarheit. Der Einsatz einer Compliance-Untersuchung löst nicht den Beginn der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB aus, da diese zunächst die Voraussetzungen für eine mögliche Kündigung aufdecken soll.

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Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 05.05.2022 – Az. 2 AZR 483/21

Wann beginnt die Frist zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung, wenn ein Arbeitgeber Compliance-Ermittlungen durchführt? Erst, wenn eine kündigungsberechtigte Person im Unternehmen Kenntnis von den kündigungsrelevanten Tatsachen erhalten hat. Wird der Informationsfluss jedoch durch den Arbeitgeber zielgerichtet verhindert, handelt dieser treuwidrig und kann sich nicht mehr auf die Wahrung der 2-Wochen-Frist berufen.

Worum geht es?

Es geht um die Frage, wann die 2-Wochen-Frist bei außerordentlichen Kündigungen zu laufen beginnt. Außerordentliche (fristlose) Kündigungen müssen innerhalb dieser 2 Wochen erklärt werden. Die Frist beginnt, nachdem ein zur Kündigung berechtigter Unternehmensvertreter Kenntnis von dem der Kündigung zugrunde liegenden Sachverhalt erlangt hat.

In der Praxis stellt sich jedoch das Problem, dass diese Frist schnell abgelaufen ist, wenn man bedenkt, dass in dieser Zeit der Betriebsrat (bzw. der Sprecherausschuss) und/oder die Schwerbehindertenvertretung beteiligt werden müssen. Hinzu kommt, dass komplexe Kündigungssachverhalte häufig umfangreiche Ermittlungen erfordern, die die Einhaltung der 2-Wochen-Frist aus § 626 Abs. 2 BGB gefährden können.

Die Entscheidung des BAG kann insbesondere mit der Umsetzung der Whistleblower-Richtlinie Bedeutung erlangen, nach der Unternehmen verpflichtet sind Hinweisen u.a. auf Compliance-Verstößen nachzugehen. Unternehmen tendieren in solchen Fällen dazu, insbesondere komplexe Sachverhalte vor Ausspruch einer Kündigung vollständig auszuermitteln. Auf diese Weise soll nicht nur vermieden werden, dass Mitarbeitern gekündigt wird, bei denen sich der ursprüngliche Verdacht nicht bestätigt. Oftmals ist das Ziel dieser Ermittlungen auch, weitere Details zu der in Rede stehenden Pflichtverletzung zu erhalten, um eine Kündigung mit Erfolg durchsetzen zu können. Wird das Unternehmen bei Durchführung der Ermittlungen fündig und stößt auf weitere kündigungsrelevante Punkte, sind andauernde Ermittlungen kein Problem, da die Frist zum Ausspruch der Kündigung mit Kenntnis der (neuen) Tatsachen neu beginnt. Problematisch wird es jedoch, wenn im Rahmen der weiteren Ermittlungen keine neuen Tatsachen auftauchen. In solch einem Fall kann die außerordentliche Kündigung in einem Rechtsstreit an der Einhaltung der 2-Wochen-Frist scheitern. Daher ist die Frage, auf wessen Kenntnis es ankommt, von maßgeblicher Bedeutung.

Wie sieht der Sachverhalt aus?

Die Parteien stritten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung, die die Arbeitgeberin gegenüber einem tariflich unkündbaren Kläger im Rahmen einer Compliance-Untersuchung ausgesprochen hatte.

Der Kläger war als Vertriebsleiter eines Unternehmens beschäftigt, dass in den Bereichen Verteidigung und Raumfahrt tätig ist und u.a. Aufträge des Bundesverteidigungsministeriums und der Bundeswehr annahm. Im Zuge dieser Auftragserteilung erstellten die jeweiligen Behörden Dokumente, die mit dem Geheimhaltungsgrad „Verschlusssache – nur für den Dienstgebrauch“ versehen waren. Im Juli 2018 erhielt die Arbeitgeberin den Hinweis, dass ein solches behördeninternes Dokument unrechtmäßig dem Unternehmen vorliege. Die Arbeitgeberin leitete daraufhin unverzüglich eine unternehmensinterne Untersuchung zur vollständigen Aufklärung des Sachverhalts ein. Die interne Compliance-Abteilung wurde dabei durch eine externe Rechtsanwaltskanzlei unterstützt.

Das Untersuchungsteam unterbrach im Juni 2019 die Untersuchung, um die bisherigen Untersuchungsergebnisse in einem Zwischenbericht für die Geschäftsführung der Arbeitgeberin aufzubereiten. Diese sollte so in die Lage versetzt werden, über etwaige weitere – unter anderem auch arbeitsrechtlichen Maßnahmen – zu entscheiden. Die Rechtsanwaltskanzlei stellte daraufhin die ihrer Auffassung nach ermittelten Pflichtverletzungen des Klägers sowie weiterer 88 Personen in einem Zwischenbericht für die Geschäftsführung der Beklagten zusammen. Dieser Zwischenbericht wurde dem kündigungsberechtigten Geschäftsführer am 16.09.2019 übergeben. Elf Tage nach Erhalt dieses Zwischenberichts kündigte die Arbeitgeberin dem Vertriebsleiter außerordentlich. Die internen Untersuchungen hätten ergeben, dass der Kläger – trotz vorherigen Hinweises auf die Vertraulichkeit – die Dokumente der Bundeswehr im Unternehmen zirkuliert habe.

Wie lautet die Entscheidung?

Die beiden Vorinstanzen gaben der Kündigungsschutzklage des Klägers statt und entschieden, dass die Ausschlussfrist gem. § 626 Abs. 2 S. 1 BGB nicht gewahrt sei. Argument: Die Beklagte müsse sich das Wissen des Leiters Compliance aus dem Zwischenbericht im Juni 2019 zurechnen lassen.

Diese Ansicht teilte das BAG nicht. Handelt es sich bei dem Arbeitgeber – wie hier – um eine juristische Person, ist grundsätzlich die Kenntnis des gesetzlich oder satzungsgemäß für die Kündigung zuständigen Organs maßgeblich. Sind für den Arbeitgeber mehrere Personen gemeinsam vertretungsberechtigt, genügt grundsätzlich die Kenntnis schon eines der Gesamtvertreter. Die zweiwöchige Kündigungsfrist beginnt danach erst, wenn eine kündigungsberechtigte Person vollständig Kenntnis vom kündigungsrelevanten Sachverhalt erlangt hat. Auf den Zeitpunkt der Kenntnis des (nicht kündigungsberechtigten) Leiters Compliance kommt es damit nicht an.

Weiter entschied das BAG, dass keine unzulässige Rechtsausübung des Arbeitgebers vorlag. Der Arbeitgeber könne sich nur dann nicht auf die Wahrung der Ausschlussfrist berufen, wenn er selbst zielgerichtet verhindert habe, dass eine kündigungsberechtigte Person zu einem früheren Zeitpunkt von den maßgeblichen Umständen hätte erlangen können oder wenn die späte Kenntnis auf einer unsachgemäßen Organisation beruhe. Beides war jedoch vorliegend nicht der Fall. Insbesondere sei der Informationsfluss nicht treuwidrig vereitelt worden, so das BAG. Auch der Einsatz eines externen Compliance-Teams an sich spreche bereits dafür, dass sich die Arbeitgeberin rechtstreu verhalten wollte.

Zudem äußerte sich das BAG ausdrücklich zu der Frage, ob der kündigungsberechtigte die Pflichtverletzungen eines einzelnen Arbeitnehmers im Hinblick auf die Frist des § 626 Abs. 2 BGB isoliert betrachten muss oder ob er abwarten darf, bis auch die Pflichtverletzungen weiterer Arbeitnehmer aufgeklärt sind, sofern diese miteinander im Zusammenhang stehen. Hier ging das BAG davon aus, dass die arbeitsvertraglichen Pflichtverletzungen mehrerer Mitarbeiter bei komplexen Compliance-Sachverhalten regelmäßig in einem derart engen Zusammenhang miteinander stehen, dass die Pflichtverletzungen eines einzelnen Arbeitnehmers hier nicht isoliert herausgearbeitet werden müssen.

Was heißt das?

Das BAG schafft Klarheit. Der Einsatz einer Compliance-Untersuchung löst nicht den Beginn der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB aus, da diese zunächst die Voraussetzungen für eine mögliche Kündigung aufdecken soll. Das BAG stellt jedoch auch klar, dass Arbeitgeber die Sachverhaltsaufklärung nicht beliebig ausdehnen können. Compliance-Ermittlungen, die nicht mehr die Identifikation von Pflichtverstößen verfolgen, sondern ausschließlich unternehmensbezogene Präventionszielen dienen, erfolgen nicht mehr zur Aufklärung des Sachverhalts.

Wie sehen die Handlungsempfehlungen aus?

Die Einhaltung der Ausschlussfrist des § 626 BGB ist bei außerordenlichen Kündigungen von maßgeblicher Bedeutung. Nach wie vor bleibt es ein schmaler Grad auszuloten, wann diese Frist beginnt und wann genug Kenntnisse für den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung vorliegen. Arbeitgebern ist zu raten, im Zweifel zu kündigen. Und das lieber zu früh als zu spät! Hilfreich ist insoweit, dass das BAG klargestellt hat, dass der Arbeitgeber eine außerordentliche (fristlose) Kündigung auch vorsorglich „blanko“, zur Not sogar ohne jeden auch nur ansatzweise tragfähigen Grund erklären kann (BAG-Beschluss v. 12.01.2021 – 2 AZN 724/20). Insofern sei es zulässig, erst im Anschluss an den Kündigungsausspruch weitere Nachforschungen zu betreiben, um Kenntnis von ergänzenden Tatsachen zu erhalten, die es erlauben, die außerordentliche Kündigung im Rahmen eines Kündigungsschutzverfahrens zu rechtfertigen.

Zudem ist insbesondere bei Zwischenberichten Vorsicht bezüglich des Beginns der 2-Wochen Frist zu raten. Es ist genau zu prüfen, wer wann von dem Zwischenbericht Kenntnis erlangt hat. Wichtig ist auch, dass das Erfordernis der „positiven Kenntnis“ nicht immer gleichzusetzen ist mit einem (Zwischen-)bericht einer Compliance-Untersuchung.

 

Die Rechtsprechung wird für Sie aufgearbeitet von Frau Dr. Felisiak von ADVANT Beiten Steuerberatungsgesellschaft GmbH

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