Mit strukturierten Recruiting-Interviews die Besten finden
Erfolgreich sind Rekrutierende und Beratende schließlich dann, wenn irgendeiner der von ihm gefundenen Finalisten den Job irgendwie erhält und behält. Für das wie auch immer herbei geführte Ergebnis winken tatkräftigen Beratern im Schnitt 30 Prozent des Zieleinkommens (BDU, 2017).
In ihrem neuen Artikel beschäftigen sich unsere AutorInnen, Professor Dr. Charlotte von Bernstorff, von der Business & Law School Berlin und Prof. Dr. Uwe P. Kanning, von der Hochschule Osnabrück, mit der Fragestellung, wie das Recruiting durch strukturierte Interviews weiter professionalisiert werden kann, um so die besten Mitarbeitenden zu finden.
Recruiting gilt leider immer noch als Vertriebs- und Zeitgeschäft. Möglichst viele Kandidaten müssen in kürzester Zeit geschickt angesprochen und zum Bewerben auf eine bestimmte Stelle begeistert (oder überredet) werden. Dabei geht es zum einen um die Kunst, Vorzüge des Arbeitgebers hervorzuheben oder zu übertreiben und Schwächen unter den Tisch zu kehren. Zum anderen werden die vom Arbeitgeber – meist nur grob und qualitativ – überlieferten Anforderungen an die Position großzügig interpretiert. Schließlich will man den Suchraum für geeignete Kandidat*innen nicht frühzeitig einschränken und sich womöglich die erfolgreiche Platzierung verbauen. „Geeignet“ sind Kandidaten in diesem Fall, wenn sie nach dem persönlichen Urteil der Personalvermittler als geeignet erachtet werden.
Die subjektive Recruiting-Analyse hinterfragen
Um jene Eignung möglichst zügig einzuschätzen, hat sich unter erfahrenen Rekrutierenden der erste und persönliche Eindruck des Lebenslaufs subjektiv „bewährt“. Mit messerscharfem Blick auf Foto, Berufserfahrung, Lücken und Tippfehler ist es den alten Hasen möglich, Kandidatenprofile in nur 43 Sekunden zu selektieren (Stepstone Eyetracking-Studie, 2018).
Die Schwerpunkte der „Analyse“ sind selbst gewählt und stehen nicht notwendigerweise im Zusammenhang mit den Anforderungen der Position, dafür aber mit dem Geschlecht des Betrachters: Männliche Recruiter interessieren sich mehr für das Foto, weibliche mehr für die Berufserfahrung von Kandidaten. Abgesehen davon, dass Profile von weiblichen Personen länger angesehen werden als die von männlichen. Bei klassischen CVs können zudem je nach Geschmack auch Länge, Design und Aufbau der biografischen Stationen sowie Farbe des Umschlags oder Flecken auf den Unterlagen kritisch mit in die Bewertung einfließen (Kanning, 2016).
Für den zweiten Eindruck kommt das persönliche Gespräch zum Tragen. Hier geht es darum, mit einem über Jahre angereicherten Gespür zu erfragen, inwiefern eine Person zur Position passt und, falls nicht, diese Lücke zu schließen. Zum Beispiel, indem man ihr neue Verhaltensweisen und Aussagen antrainiert, die nach Einschätzung des Recruiters besser zum Unternehmen passen bzw. für einen besseren Auftritt sorgen. Erfolgreich sind Rekrutierende und Beratende schließlich
dann, wenn irgendeiner der von ihm gefundenen Finalisten den Job irgendwie erhält und behält. Für das wie auch immer herbei geführte Ergebnis winken tatkräftigen Beratern im Schnitt 30 Prozent des Zieleinkommens (BDU, 2017).
Es geht darum, Mitarbeitende nach objektiven und festgelegten Kriterien zu finden
Damit wird bis heute ein System belohnt und aufrechterhalten, von dem wir aus der Forschung schon seit Jahren wissen, dass es wirtschaftlichen wie psychologischen Schaden anrichten kann. In der Personalauswahl geht es weder darum, eine Stelle einfach nur zu besetzen, noch diese Stelle mit gutem Gefühl zu besetzen. Es geht darum, Personen zu finden, die nach objektiven und zuvor festgelegten Kriterien die anfallenden beruflichen Aufgaben in einem bestimmten Kontext gut oder vielleicht sogar exzellent erledigen können.
Darüber hinaus sollen die neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dauerhaft an das Unternehmen gebunden werden, denn in Zukunft wird es immer schwieriger sein, gutes Fachpersonal anzuwerben. Dabei ist professionelle Personalauswahl für beide Seiten von Vorteil, nicht nur für den Arbeitgeber, weil er geeignete Bewerber einstellt, sondern auch für Letztere selbst, wenn sie einen Arbeitsplatz finden, der zu ihren Kompetenzen passt und sie dauerhaft zufriedenstellt.
Um dieses Ziel erreichen zu können, muss im Recruiting eigentlich das Prinzip „Qualität vor Quantität“ gelten. Dies lässt sich in einem einfachen Rechenbeispiel verdeutlichen. Stellen wir uns vor, ein Recruiter hat für eine vakante Stelle zehn Personen zu einer Bewerbung überredet. Von diesen zehn Personen ist nur eine einzige Person tatsächlich geeignet. In diesem Fall liegt die Zufallswahrscheinlichkeit, eine geeignete Person einzustellen, bei gerade einmal zehn Prozent.
Wäre der Recruiter anders vorgegangen und hätte nur vier Personen zu einer Bewerbung bewegen können, von denen jedoch zwei geeignet sind, so läge die Zufallswahrscheinlichkeit bei 50 Prozent. Ziel eines professionellen Recruitments ist daher die selektive Ansprache von Personen, die potenziell nach objektiven Kriterien geeignet sind. Gleichzeitig sollen ungeeignete Personen möglichst von einer Bewerbung abgehalten werden.
Lesen Sie den vollständigen Beitrag aus der HR Performance 3/2023.