Gute Übergänge in den Ruhestand zahlen sich für Unternehmen aus
Der Übergang in den Ruhestand birgt die Chance in sich, Zeit für Träume zu haben. Ich kann noch einmal aufbrechen und Neues wagen, meine gewohnten Rollen verlassen, die eigenen Routinen und Prioritäten auf den Prüfstand stellen.
Ein Gespräch mit Angelika Gaßmann, Autorin, Germanistin, Personal- und Organisationsentwicklerin, freiberufliche Trainerin und Beraterin mit über 20 Jahren Erfahrung, über einen gelungenen Wechsel vom Erwerbsleben in den Ruhestand.
HRP: Mal vorweg gefragt, wem fällt der Übergang vom Arbeitsleben in den Ruhestand leichter? Männern oder Frauen?
Angelika Gaßmann: Spontan hätte ich angenommen, dass Frauen der Übergang in den Ruhestand leichter fällt. Sie sind in ihren Biografien zum Beispiel durch Kinderpausen und den Wiedereinstieg geübter mit Übergängen. Die Ergebnisse der Studie „Transitions and Old Age Potential“ (TOP) zeigen, dass bei der Frage, wie zufrieden Menschen mit dem Übergang sind, diese von Männern und Frauen sehr unterschiedlich bewertet wird. Spannend ist, dass Frauen den Übergang allgemein belastender wahrnehmen. Generell fällt es Menschen – ganz unabhängig vom Geschlecht – leichter, wenn sie den Übergang freiwillig erleben und zudem finanziell abgesichert sind.
HRP: Jahrelang für das Unternehmen gearbeitet und aufgeopfert. Dann kommt der wohlverdiente Ruhestand. Und vom Chef gibt’s zum Abschied einen Blumenstrauß und eine Urkunde. Ist das ein Klischee oder Wirklichkeit in deutschen Unternehmen?
Gaßmann: Es gibt durchaus Unterschiede in der Art und Weise, wie Unternehmen den Abschied gestalten. Der Blumenstrauß, die Abschiedsreden und Geschenke sind dabei aber tatsächlich in der Regel die festen Bestandteile. Interessant ist es, dass Menschen, denen dieses Ritual aus den unterschiedlichsten Gründen verwehrt wurde, darunter sehr leiden. Ohne dieses Übergangsritual werden aus deren Perspektive all die vielen Arbeitsjahre entwertet.
Das bedeutet, dass selbst die übliche Praxis mit Blumenstrauß und Abschiedsrede eben doch auch Wertschätzung und Anerkennung für das Geleistete transportieren und für einen gelungenen Abschluss wichtig sind. Gleichzeitig wird sehr deutlich, dass in den meisten Unternehmen das Bewusstsein dafür fehlt, dass es um die Würdigung der Lebensarbeitsleistung eines Menschen geht.
HRP: Den Übergang von der Erwerbstätigkeit in den Ruhestand sieht zum Beispiel die Theologin Cornelia Coenen-Marx als Entwicklungsmöglichkeit und zugleich als Entwicklungsaufgabe. Können Sie das näher erklären?
Gaßmann: Cornelia Coenen-Marx hat in einem Beitrag formuliert, dass der Übergang in den Ruhestand die Chance in sich birgt, Zeit für Träume zu haben. Das ist ein wunderbares Bild. Ich kann noch einmal aufbrechen und Neues wagen, meine gewohnten Rollen verlassen, die eigenen Routinen und Prioritäten auf den Prüfstand stellen, selbstbestimmter das tun, was mir wichtig ist.
Die andere Seite der Medaille ist, dass der Übergang in den Ruhestand mir eben genau jene Sicherheit, die ich aus meiner Rolle, meinen jahrzehntelangen Routinen und sozialen Bezügen aus der Arbeit gezogen habe, nimmt. So sehr, wie wir manches Mal über die Fremdbestimmtheit in der Arbeit klagen, ist sie auf eine gewisse Weise auch einfach. Der Übergang in den Ruhestand fordert mich heraus, meine Rolle, meine Routinen, meine sozialen Bezüge neu zu finden. Wird dies durch Krankheit, finanzielle Unsicherheit, Trennungen noch zusätzlich belastet, spüren wir, wie krisenhaft dieser Übergang sein kann.
Lesen Sie hier das komplette Interview aus der HR Performance 1/2023.