Führungs- und HR-Prozesse stärker verknüpfen
Moralisch-ethische Bedenken werden eher vom Tisch gewischt, mit dem Argument, die Mitarbeiter arbeiten ja freiwillig bei uns. HR sieht sich hierbei wohl zuallererst in der „Verantwortung“ zur Unterstützung der Geschäftsziele beizutragen und zuallerletzt zur Realisierung auskömmlich menschenwürdiger Arbeit.
Über die Rolle der HR-Funktion wird seit jeher viel und kontrovers diskutiert. Statusmeldungen von HR-Managern (hier und im Folgenden immer verstanden als d/m/w) zur hohen strategischen Bedeutung der HR-Funktion kollidieren dabei regelmäßig mit auf den realen Arbeitsalltag bezogenen Reflexionen von Führungskräften und Mitarbeitern. Auch wenn die Statistiken zur Häufung von Burn-out und psychischen Erkrankungen eine eindeutige Sprache sprechen, gestaltet sich die Ursachenfindung schwierig. Wirkungsvolle alltagstaugliche Gegenmaßnahmen sind nach wie vor weit und breit nicht in Sicht.
Auch kann kritisch hinterfragt werden, ob der aktuelle Hype um Big Data mit den damit verbundenen Analysemöglichkeiten die konkrete Führungs- und HR-Arbeit tatsächlich verbessert? Oder werden etwa nur mit hohem Aufwand zusätzliche Informationen generiert, die zu wissen zwar interessant ist, aber kaum zu verbesserten Prozessen und Verhaltensweisen im Arbeitsalltag führen.
Der Schulterschluss zwischen Führungskräften, HR und Controllern ist gefragt
Die Verantwortlichkeiten für diese bereits jahrelang andauernde Misere sind vordergründig leicht ausgemacht: die Führungskräfte, die es nicht verstehen, ihre Mitarbeiter so zu behandeln, dass diese zufrieden ihre bestmögliche Leistung bringen und damit die Unternehmensziele dauerhaft erreicht werden können. So richtig diese Aussage im Grundsatz auch sein mag, so kompliziert stellt sich die Bewältigung der Vielzahl von Einflussfaktoren dar. Schwierige globale wirtschaftliche Rahmenbedingungen und Verwerfungen in Verbindung mit der Corona-Pandemie und Auswirkungen des Ukraine-Krieges stellen Unternehmen vor extreme Herausforderungen und erzeugen bei den Mitarbeitern, Familien und Führungskräften Unsicherheit und Angst.
Psychische Belastungen nehmen zu und Widerstandskräfte lassen nach. Be- und Empfindlichkeiten treten verstärkt zutage und erfordern von den Beteiligten ein hohes Maß an Toleranz und Sensibilität bei gleichzeitig wachsendem Druck im Arbeitsleben. Allzu oft fühlen sich Führungskräfte in dieser schwierigen Lage alleingelassen und HR für deren Unterstützung nicht zuständig. Auch ist es den HR-Verantwortlichen zu dieser sich eher verschlechternden Situation kaum gelungen, erkennbar hilfreiche Lösungsansätze zu entwickeln.
Zur Bewältigung dieser schwierigen Ausgangslage erscheint es wichtiger denn je, einen systematischen Schulterschluss zwischen Führungskräften, HR und auch mit dem Controlling zu realisieren. In der Vergangenheit haben diese drei wesentlichen Akteure durch oftmals unterschiedliche Zielsetzungen nicht selten eher gegeneinander als miteinander gearbeitet.
Insbesondere gegenseitige Schuldzuweisungen für unliebsame Ergebnisse im Arbeitsprozess führen immer wieder dazu, dass die Betroffenen eher „Zwangskooperationen“ geschickt boykottieren, als hilfreiche Zusammenarbeit zu fördern.
HR muss sich in ihrer Rolle in der neuen „Techwelt“ hinterfragen
Die Rolle von HR erscheint in diesen Prozessen von besonderer Bedeutung. Die Entwicklungen in der neuen „Techwelt“ (z.B. Flink, Gorillas, HelloFresh, Klarna, Lieferando, N26) lassen hier allerdings nicht allzu viel Gutes erwarten (s.a. Kyriasoglou, C.: Arbeiteraufstand in der Techwelt, in: manager magazin 10/2022). Es ist ein offenes Geheimnis, dass diese Branchen zwar von Investoren fast maßlos „beglückt“ werden, den Preis hierfür aber nahezu ausschließlich die Mitarbeiter zu zahlen haben. Prekäre Vergütungen, verdeckte Scheinselbstständigkeiten und katastrophale Arbeitsbedingungen sind zur Genüge dokumentiert. HR steckt dabei in einer Zwickmühle, das ist kaum zu bezweifeln. Diese Geschäftsmodelle können offensichtlich nur mit diesen ausbeuterischen Rahmenbedingungen funktionieren und HR hat hierbei u.a. die Aufgabe, das benötigte Personal zu beschaffen. Moralisch-ethische Bedenken werden eher vom Tisch gewischt, mit dem Argument, die Mitarbeiter arbeiten ja freiwillig bei uns. HR sieht sich hierbei wohl zuallererst in der „Verantwortung“ zur Unterstützung der Geschäftsziele beizutragen und zuallerletzt zur Realisierung auskömmlich menschenwürdiger Arbeit.
Dies nachzuvollziehen, fällt schwer, weiß man doch, dass eine ausgewogene Balance zwischen Unternehmensanforderungen und Mitarbeiterinteressen die beste Basis für dauerhaft gute Mitarbeiterleistung ist. Als kritisches Korrektiv tritt HR insofern eher nicht in Erscheinung. Diskussionswürdig ist dies nicht nur aus ethischer Sicht, sondern auch ökonomisch betrachtet. Nicht erst durch den aktuellen Arbeitskräftemangel bedingt, sind bei derartig einseitiger Ergebnisorientierung negative Rückwirkungen im Bemühen um neue Mitarbeiter sowie höhere Quoten von Mitarbeiterkündigungen die logische Folge.
Lesen Sie den vollständigen Beitrag aus dem Special „Best of“ (zur HR Performance 4/2022).