Diese neuen Kompetenzen benötigen Führungskräfte
Die Führungskräfte müssen sich als Beziehungsmanager verstehen, deren Kernaufgabe es ist, die Beziehungen im sozialen System Unternehmen so zu gestalten, dass die Mitarbeiter effektiv zusammenarbeiten können; außerdem als emotionale Leader, deren Aufgabe es ist, ihre Mitarbeiter zu inspirieren, so dass diese sich freiwillig für das Erreichen der Ziele engagieren.
Aus der digitalen Transformation der Wirtschaft und Gesellschaft erwachsen viele neue Anforderungen an Führungskräfte. Deshalb wäre gerade jetzt eine systematische Führungskräfteentwicklung wichtig. Diese fehlt in den Unternehmen oft.
In den Unternehmen und ihrem Umfeld verändert sich zurzeit vieles. Eines verändert sich jedoch kaum: der Mensch Mitarbeiter. Er wünscht sich weiterhin Halt und Orientierung – und zwar umso mehr, je instabiler sein Arbeits- und Lebensumfeld wird.
Doch wer soll dem Mensch Mitarbeiter im Betriebsalltag dieses Gefühl vermitteln, wenn in den Unternehmen fast alles auf dem Prüfstand steht? Letztlich können dies nur die Führungskräfte sein. Deshalb wird Führung im digitalen Zeitalter immer wichtiger.
Führung wird wichtiger und muss sich ändern
Zugleich muss sich Führung jedoch verändern – unter anderem, weil die für den Unternehmenserfolg relevanten Leistungen zunehmend von bereichs- oder gar unternehmensübergreifenden Teams erbracht werden, die zudem häufig einen hybriden oder gar virtuellen Charakter haben.
Hinzu kommt: Die „Problemlösungen“ setzen immer mehr Expertenwissen voraus, das die Führungskräfte oft selbst nicht haben. Also sind sie beim Erbringen der gewünschten Leistung verstärkt auf das Können und die Eigenmotivation der Mitarbeiter angewiesen – auch weil ihre Bereiche immer häufiger vor bisher unbekannten Herausforderungen stehen. Deshalb können die Führungskräfte zu ihren Mitarbeitern seltener sagen „Tue dies, dann haben wir Erfolg“. Sie müssen vielmehr mit ihnen Versuchsballons starten, was könnte die richtige Lösung sein, und dann im Prozess ermitteln, was zielführend ist.
Führungskräfte müssen Beziehungsmanager werden
Wie ist in einem solchen Umfeld erfolgreiche Führung möglich? Der einzig mögliche Lösungsweg ist: Die Führungskräfte müssen sich als Beziehungsmanager verstehen, deren Kernaufgabe es ist, die Beziehungen im sozialen System Unternehmen so zu gestalten, dass die Mitarbeiter effektiv zusammenarbeiten können; außerdem als emotionale Leader, deren Aufgabe es ist, ihre Mitarbeiter zu inspirieren, so dass diese sich freiwillig für das Erreichen der Ziele engagieren.
Viele Führungskräfte haben dies in der Vergangenheit schon getan, doch nur bezogen auf die ihnen unterstellten Mitarbeiter. In den modernen High-Performance-Organisationen sind die Unternehmensbereiche jedoch eng miteinander verwoben; sie kooperieren zudem in der Regel mit vielen externen Partnern, die wichtige Teilaufgaben erfüllen. Deshalb müssen die Führungskräfte ein stets komplexeres Netzwerk führen – und dies in einem von permanenter Veränderung geprägten Umfeld, in dem letztlich niemand weiß, was die Zukunft bringt.
Führungskräfte brauchen neue Kompetenzen
Um in einem solchen Umfeld mit Erfolg zu agieren, benötigen die Führungskräfte teils neue Kompetenzen. Diese lassen sich drei Kompetenzbereichen zuordnen:
1. Persönlichkeitsintelligenz. Dieser Kompetenzbereich umfasst primär die Ebene des eigenen Selbstverständnisses. Dieses ist bei „Digital Leadern“, also den Führungskräften die Unternehmen im digitalen Zeitalter brauchen, dadurch geprägt, dass sie sich selbst als Lernende verstehen. Sie hinterfragen also regelmäßig ihr Verhalten und dessen Wirkung und entwickelt sich als Person weiter. Eng verknüpft damit sind solche Eigenschaften wie Neugier und Bereitschaft zur Veränderung.
2. Beziehungsintelligenz. Dieser Kompetenzbereich umfasst die Fähigkeiten, die zum Auf- und Ausbau tragfähiger Beziehungen nötig sind. Von zentraler Bedeutung sind hierbei die Empathie – also das Einfühlungsvermögen in andere Personen und Konstellationen – sowie der wertschätzende Umgang mit den (persönlichen) Interessen und Bedürfnissen der Netzwerkpartner.
3. Digitalintelligenz. Ein zentrales Element dieses Kompetenzbereichs ist der Zukunftsblick. Hierzu zählt neben einer Vision, wohin der gemeinsame Weg führen soll, das Bewusstsein, dass der technische Fortschritt (nicht nur im IT-Bereich) neue Problemlösungen ermöglicht, und es die hieraus sich ergebenden Chancen zu nutzen gilt. Das setzt neben einem interdisziplinären Denken eine solide Digitalkompetenz voraus; unter anderem damit sich die Führungskräfte, allein oder mit Expertenunterstützung, ein fundiertes Urteil darüber bilden können, welche Chancen und Risiken sich aus dem technischen Fortschritt – zum Beispiel im Bereich Künstliche Intelligenz – ergeben und somit entscheidungs- und handlungsfähig sind.
Führungskräfte brauchen eine aktive Unterstützung
Bei der Entwicklung zu solchen Führungspersönlichkeiten brauchen die Führungskräfte eine aktive Unterstützung; sie wünschen sich diese auch. Faktisch liegt die Führungskräfteentwicklung in vielen (Groß-)Unternehmen zurzeit jedoch weitgehend auf Eis, da diese zwar wissen, dass ihre Führungskräfte künftig ein teils anderes Kompetenz- und Persönlichkeitsprofil brauchen, doch welches ist ihnen noch unklar.
Deshalb stellten viele Unternehmen in den letzten Jahren ihre Management- und Führungskräfte-Entwicklungsprogramme, auf die sie ehedem so stolz waren, „vorübergehend“ ein. Eine Folge hiervon ist: Eine wachsende Zahl von Führungskräften fühlt sich „in schwierigen Zeiten“ allein gelassen, weshalb sich bei ihnen Frust anstaut. Sie fühlen sich zudem nicht selten überfordert.
Ältere Führungskräfte werden oft als „Lähm-Schicht“ empfunden
Das registrieren auch ihre Mitarbeiter. Das zeigt unter anderem eine Online-Befragung von Führungsnachwuchskräften im Alter von bis zu 35 Jahren, die das IFIDZ in Unternehmen mit mehr als 100 Beschäftigen durchführte. Bei ihr gaben drei Viertel der Teilnehmer an, die „etablierten Führungskräfte“ in ihrem Unternehmen gingen den Prozess der Digitalen Transformation und Etablierung einer neuen Kultur der Zusammenarbeit in ihrer Organisation „nicht“ oder „nur halbherzig“ an. Das heißt, die nachrückenden, jungen Führungskräfte, die bereits Digital Natives sind und den Generationen X, Y und Z angehören, nehmen ihre älteren Führungskräfte-Kollegen oft als „Lähm-Schicht“ wahr.
Zugegeben diese Online-Befragung war nicht repräsentativ. Dessen ungeachtet scheint in vielen Unternehmen ein latenter Generationenkonflikt zu bestehen, zwischen
• den nachrückenden Führungskräften, die sich mehr Dynamik bei der Veränderung wünschen, und
• den etablierten Führungskräften, die deren Elan – eventuell sogar zurecht – bremsen, weil sie wissen: Bei allem berechtigen Veränderungsstreben muss auch noch das Alltagsgeschäft gemanagt werden.
Bei der Führungskräfteentwicklung iterativ vorgehen
Auch damit dieser (Ziel-)Konflikt nicht „eskaliert“, wäre gerade jetzt eine systematische Führungskräfteentwicklung wichtig – selbst wenn die Unternehmen noch nicht genau wissen, welche Fähigkeiten und Eigenschaften ihre Führungskräfte künftig brauchen. Bei anderen Themen wie „technische Innovation“ legen sie wegen solcher Unsicherheiten ja auch nicht die Hände in den Schoß. Bei ihnen propagieren sie vielmehr ein iteratives Vorgehen: also zunächst einen (Lösungs-)Versuch wagen, dann die hierbei gesammelten Erfahrungen reflektieren und dann die Maßnahmen neu oder nach-justieren.
Ein solches Vorgehen sollten die Unternehmen auch bei der Führungskräfteentwicklung praktizieren, damit ihre Führungskräfte nicht zunehmend das Gefühl haben: Unsere Chefs lassen uns in schwierigen Zeiten im Regen stehen.
Autorin: Barbara Liebermeister leitet das Institut für Führungskultur im digitalen Zeitalter (IFIDZ), Wiesbaden.